Überdurchschnittlich unattraktiv

■ Händler klagen, Kunden antworten nicht / Was ist los in Bremens City / taz-Serie, 1. Teil

Überdurchschnittlich unattraktiv

Händler klagen, Kunden antworten nicht / Was ist los in Bremens City / taz-Serie, 1. Teil

Wenn Bremen wenigstens eine normale Stadt wäre, durchschnittlich attraktiv! Nicht mal das, nein, Bremen ist unterdurchschnittlich attraktiv für Einkaufende, sagt der Bremer Einzelhandelsverband. Der Umsatz sinke, immer weniger Auswärtige kämen in die City.

Einkaufsattraktivität läßt sich mit der Zentralitätszahl angeben. Die Bremer Zentralität lag 1970 bei 130, d.h. 100 Einkaufende kamen aus der Stadt selbst, 30 konnten aus dem Umland angezogen werden. Heute liegt die Zahl laut Handelskammer bei 107. Bundesdurchschnitt: 124. Oldenburg, auf das Bremen immer schielt, hat gar eine Zentralität von 140.

Die City ist zu klein, sagen die Händler. Rund 100.000 Quadratmeter Geschäftsfläche fehlen, hat der Vorsitzende der Bremer Einzelhändler, Helmut Zorn, ausgerechnet. Düster unkte er jüngst: Wer kein florierendes Oberzentrum Bremen wolle, setze die Selbständigkeit des Stadtstaates aufs Spiel.

Bremen habe das Künststück vollbracht, die Innenstadt seit 1970 sogar noch zu verkleinern, sagt Hermann Krauß, Syndicus der Einzelhändler bei der Handelskammer: Die exzellente Einkaufs

hier

„Oberzentrum

ade“

straße Am Wall sei heruntergekommen, die Faulenstraße durch den Brilltunnel abgeschnitten, die quirligen Straßen Ostertorsteinweg und Fedelhören gar nicht erst angebunden. Starrer statt durchlässiger wurden die Sperren zu den angrenzenden Stadtteilen. „Und die Menschen reagieren mimosenhaft auf sowas — ach, das ist noch grobschlächtig ausgedrückt.“ Je knapper die 1a-Lagen in der City wurden, umso höher stiegen die Mieten — bis auf das dritthöchste Niveau in der Bundesrepublik: der Quadratmeter liegt bei etwa 300

Mark. Leisten können die sich neben den Einzelhändlern mit angestammtem Grundbesitz fast nur noch Filialisten. Geschäfte also mit geringer Auswahl, die eher sogenannte „Schnelldreher“ verkaufen.

Doch das T-Shirt für zehn Mark kann man auch auf der grünen Wiese erstehen, deswegen fährt man nicht nach Bremen rein. So beschreibt der Leiter des Ortsamtes Mitte, Dietrich Heck, die Misere. Mit anderen Worten: Die Mischung stimmt nicht mehr, zuwenig Fachhandel mit hochwertigem Angebot und Beratung. Trading-Up heißt das Zauberwort in anderen Städten: Durch eine gezielte Ansiedlungspolitik werden hochwertige Qualitätsprodukte in die Innenstadt-Regale gezogen: Gedacht als Konkurrenz zu den neuen Einkaufszentren am Stadtrand.

Was tun? Größter Wunsch der Handelskammer: Das Planungsamt müßte mehr attraktive Innenstadtzonen schaffen. Mit der Wiederbelebung der Knochenhauerstraße und Anbindung der Langenstraße sei man auf dem richtigen Weg — diese beiden Maßnahmen seien aber weitem nicht ausreichend.

Weitere Vorschläge: Die Gegend zwischen den Gerichten müsse man beleben, zum Beispiel durch Vermietung des Gefängsnis-Erdgeschosses an experimentierende Jungkaufleute. Der Wall wäre dann in einen Rundlauf eingebunden, zwischen Ostertorsteinweg und City klaffte nicht mehr diese Lücke. „Aus der Traum“, schimpft Krauß, „dort werden der Staatsanwaltschaft neue Büros gebaut“. „Bonsai- Stadt“ hat Bremens oberster Einzelhändler Zorn Bremen einmal genannt: Aufkeimende Initiativen würden sofort beschnitten.

Ortsamtsleiter Heck allerdings hält Flächenvermehrung nicht für allein seligmachend. Auf die Aufenthaltsqualität komme es vor allem an — wann endlich gebe es auf dem Domshof einen Biergarten und ein Kontorhaus mit Bremer Spezialiäten? Wo in der Innenstadt könne man sich niederlassen, die Tüten absetzen und anderen Leuten zugucken? Christine Holch