: Bürgernahe Raumfahrt und Hitlers Gebiß Von Mathias Bröckers
Wer eine wöchentliche Kolumne schreibt, ist stets auf der Suche nach geeigneten Themen. So sammelt sich auf dem Schreibtisch immer ein kleiner Materialstapel: aktuelle Agenturmeldungen, Zeitungsausschnitte, Notizen. Meistens kristallisiert sich ein Thema heraus. Diese Woche aber kann ich mich beim besten Willen nicht entscheiden. Da ist erst einmal die Meldung, daß Rauchen in der kalifornischen Stadt Davis jetzt auch im Freien verboten ist. Auf den Bürgersteigen darf nur noch rauchen, wer sich dabei fortbewegt, für einen Lungenzug im Stehen drohen 50 Dollar, im Wiederholungsfalle bis 500 Dollar Strafe. Das Neuss'sche Diktum „Bin vorbestraft – hab' in der Einbahnstraße geraucht“ wurde Realität, was zeigt, daß Satire der Wirklichkeit zwar voraus sein, ihren Irrsinn aber nie überholen kann. AKWs ächzen, Autos ätzen, die Welt stinkt zum Himmel, aber Rauchern wird die rechte Hand abgehackt – dieser neue Fundamentalismus hätte allemal eine ganze Kolumne verdient, wäre da nicht die zweite Rauchermeldung der Woche: Kanadas Verteidigungsministerin Kim Campbell hat zugegeben, als Studentin Marihuana nicht nur geraucht, sondern, wie sie in Anspielung auf Bill Clinton hinzufügte, „auch inhaliert“ zu haben. Der US-Präsident legt nach wie vor Wert darauf, daß er als Student nur am Joint gezogen, nicht aber inhaliert hat. Fraglos ein aktueller Anlaß, den mittelalterlichen Irrationalismus des Drogenkriegs zu glossieren, aber da kommt mir die dritte Meldung dazwischen, Forschungsminister Wissmann und sein Highlight der Woche, das einfach nicht unkommentiert bleiben darf. Weil der Weltraumstart der D-2-Mission wieder und wieder verschoben werden mußte und weil es schwer ist, die Steuermillionen für so ein Pannenprojekt zu begründen, mußte sich der Jungminister etwas einfallen lassen – und entdeckte: die „bürgernahe Raumfahrt“. Was wir uns darunter vorzustellen haben? Keine Ahnung – es sei denn, einen König von Spanien, der Columbus die Expeditionsmittel streicht und ihm die bürgernahe Atlantiküberquerung im Mittelmeer empfiehlt. Auf merkwürdigste Art bürgernah sind jedenfalls die Raumfahrtprojekte, von denen die vierte Meldung berichtet: Die Bewohner von Redondo in Südportugal haben vergangene Woche ein leuchtendes, herzförmiges Etwas beobachtet, das als UFO über der Stadt schwebte. Zwei Wochen zuvor war in einer anderen Gemeinde ein weißes, gleißendes Licht in Form einer riesigen Zigarre beobachtet worden, das 20 Minuten lang bewegungslos in der Luft verharrte. Waren da wieder mal zwei ganze Dörfer verrückt, so wie unlängst die eine Million Filipinos anläßlich einer „Marienerscheinung“? Jedenfalls ein schöner Anlaß, um jene Skeptiker aufs Korn zu nehmen, die gegenüber der eigenen Skepsis unskeptisch geworden sind. Und auch die letzte Meldung auf unserem Wochenstapel hätte mehr als nur eine Erwähnung verdient: „Teething troubles over Hitler's body“ meldet der New Scientist – des Führers Gebiß, rekonstruiert anhand von Unterlagen seines Zahnarztes, ist nicht mit dem der Leiche identisch, die die Sowjets 1945 auf Geheiß Stalins nach Moskau schafften und obduzierten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen