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Album einer verlorenen Zeit

■ Neu in der Schauburg: Otar Iosselianis „Jagd auf Schmetterlinge"

Ein Chateau in der französichen Provinz, vollgestopft mit den Erinnerungen an die gute alte Zeit. Abgeschabte Möbel zwischen Wänden vergilbter Familienfotos und Bewohnerinnen, die sich in ihrer Skurrilität nahtlos in das Interieur einfügen: Die Schloßbesitzerin, eine kränkliche alte Adelige, die aber immer noch vom Rollstuhl aus mit der Pistole auf Scheiben schießt, ihre Cousine, die knorrige Seele des Gemäuers und eine etwas verschlampte Haushälterin. Das Provinznest, eingehüllt in die ersten Herbstnebel, ein Bahnhof, an dem selten ein Zug hält, der mehr als zwei Waggons mit sich führt, eine beschauliche weiße Kirche, eine altersschwache Orgel. Wehmut durchzieht den neuen Film von Otar Iosseliani, Wehmut angesichts des Untergangs einer heileren Zeit. Iosseliani entwirft in der „Jagd auf Schmetterlinge“ einen Bilderbogen des untergehenden Alten. Die fremde Welt, die in der Gestalt der Japaner, die ein Chateau nach dem anderen aufkaufen, in das Idyll einbricht, kappt selbst jahrhundertealte Wurzeln.

Die Geschichte ist schnell erzählt: Die drei Frauen leben in einem Schloß nahe einem schläfrigen Nest, das Stück für Stück von Antiquitätenhändlern und japanischen Investoren aufgekauft wird. Als die Schloßherrin stirbt, ist jeder hinhaltende Widerstand gegen das moderne Leben gebrochen. Am Ende prangen japanische Schriftzeichen am Portal des Chateaus.

Iosseliani, einem größeren Publikum durch die „Günstlinge des Mondes“ bekanntgeworden, zeichnet ein liebevolles Bild der Provinz, die zum Untergang verdammt ist. Das Geld der Japaner und der Antiquitätenhändler schlägt allemal die Ruhe, in der auch die schrägste Marotte noch ihre Nische findet. Die eisern am guten Stil festhaltende Schloßherrin, der versoffene Dorfpfarrer, der mit dickem Kopf aufwacht, zuerst einen Zug aus der Schnapsflasche nimmt, die er unter dem Kopfkissen hervorzieht, und dann erstmal kotzt, bevor er zur Predigt eilt — Die Menschen der Provinz sind allesamt Sympathieträger.

Doch so schrullig die Figuren gezeichnet sind, so klischeehaft geraten sie am Ende. Wo gut und böse so eindeutig verteilt sind, bleiben die handelnden Personen flach. Der Japaner — kauft auf. Die Russin, die das gerade geerbte Schloß verhökert hat - sitzt am Küchentisch ihrer neuen Pariser Wohnung und versäuft das Erbe mit anderen Russen. Und wenn die Japaner als neue Herren nun auch Boule spielen und mit dem Rad zum Markt fahren, dann ist das nicht die Romanisierung des Japaners, sondern die Aneignung der letzten Beschaulichkeit durch Modernität.

Ein ruhiger Film, der ein Seufzen hinterläßt, wenn man sich auf die Personen einläßt. Was bleibt, ist ein Fotoalbum von Bildern einer versinkenden Zeit. J.G.

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