piwik no script img

Ein gewisses norddeutsches Flair

■ Gespräch mit Regisseur Detlev Buck

taz: Warum reagieren Sie so gereizt, wenn man „Wir können auch anders“ und Ihren Filmfiguren ein gewisses norddeutsches Flair zuspricht?

Detlev Buck: Das sind ja auch alles norddeutsche Schauspieler: Der eine kommt aus Dresden, der andere aus Köln und die Sophie Rois kommt aus Linz – alles typische Norddeutsche. Und die sprechen auch alle norddeutsch, und in Österreich versteht man die schon gar nicht mehr. Merken Sie, wie giftig ich gleich werde? Ich glaube, das hängt alles eher mit meiner Person zusammen. Ich bin, wie ich bin, und wenn ich so daherkomme, fällt gleich die Klappe: da kommt ja wieder der Norddeutsche. Aber wenn man so an den Film herangeht, dann hat man schon einen Fehler gemacht. Ich versuche, mit jedem Film etwas anderes zu erzählen, aber wenn die alle gleich angesehen werden, dann mache ich ja im Grunde nur „Erst die Arbeit, Teil fünf“. Nach dem ersten Film haben alle gesagt, der kann nur was über Bauern machen, bei „Karniggels“ hat sich das zu den grünen Jungs hin entwickelt, da war ich schon froh. Und jetzt bin ich bei den Russen. Das geht etwas langsam, nicht?

Was war beim Entwurf des Drehbuchs zuerst da, die beiden Analphabeten oder die abenteuerliche Reise?

Die erste Idee war: Zwei Leute werden von einem Russen entführt. Mich wundert eh, daß da nicht schon vorher jemand einen Kinofilm drüber gemacht hat. Da saßen dreihunderttausend russische Soldaten bis unter die Zähne bewaffnet in Deutschland, und die wußten nach der Wende plötzlich nicht mehr, was sie dort überhaupt noch machen sollten. Das ist doch Kinostoff.

Die beiden Hauptfiguren Kipp und Most erinnern ja nicht nur äußerlich ein wenig an Stan Laurel und Oliver Hardy.

Eine Journalistin hat geschrieben, der eine ist zwar dick, aber der andere ist nicht doof. Auch wenn der Kipp ein kleines Manko hat, ist er ja noch lange nicht so karikiert und überzogen wie Stan Laurel. Er hat normale Züge, er liebt die Frauen und ist traurig, wenn er merkt, daß er das ganze Geld ausgegeben hat.

Der Film beginnt ja sehr merkwürdig mit der Szene von dem Heim, wo Kipp den Landvermesser trifft, und man wird aus beiden nicht so recht schlau.

Ein bißchen habe ich da Polanski zitiert, denn ich war begeistert vom Anfang von „Wenn Katelbach kommt“. Bei dem kommen ganz aus der Ferne zwei Leute angefahren, und du fragst dich: Was sind das denn für Typen? Und dann entwickelt sich die Geschichte, aber die beiden schleppen keinen Rucksack voller Soziologie mit sich herum. Unser Film sollte auch immer „davor“ anfangen: Du lernst den Kipp kennen, es wird gezeigt, daß er aus einem Heim kommt, aber nichts wird erklärt.

Sie haben da auch einen Balanceakt vollzogen. Es besteht ja immer die Gefahr, daß man die beiden mit ihren Behinderungen durch die Komik denunziert.

Ich freue mich über solche Menschen, und ich hoffe, daß wir das auch vermitteln konnten. Der Kipp ist für mich einer, der die Kunst des Vergessens beherrscht. Der gehört nicht zu denen, die ein schlechtes Erlebnis ihr Leben lang mit sich herumschleppen. Und auch daß die beiden Analphabeten sind, haben wir ja nicht so sehr zum Thema gemacht. In Deutschland leben vier Millionen Analphabeten, und die sind zum Teil schwer schlau. Es gibt ja einen Film mit Robert De Niro über das Thema, und den mochte ich überhaupt nicht, weil da alles so gedrückt wirkte. Nach einer halben Stunde merkte sie dann, daß sie nicht lesen kann, und man wußte alles schon vorher. Ich glaube, wenn einer nicht lesen kann, dann macht der selber das überhaupt nicht zum Thema. Der sieht zu, daß er da irgendwie durchkommt. Und wenn man solche Leute zuerst nicht ganz für voll nimmt und sie am Schluß dann noch als Gewinner dastehen, das find' ich schön.

Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht, daß ihr Film auf der Berlinale im Wettbewerb gelaufen ist?

Ich war ja gar nicht richtig da.

Sie haben doch von morgens bis abends Interviews gegeben.

Das kann man aber gar nicht so richtig wahrnehmen. Man ist nervös, hat eineinhalb Jahre an einem Film gesessen und hat eine dünne Haut. Dann geht das Publikum toll mit, man ist erleichtert, steht auf der Bühne, drückt die Hauptdarsteller und sagt: „Das war wunderbar.“ Und dann fährt man wieder nach Hause. Ich war nicht einmal im Cinecenter, und zwar aus gutem Grund. Die lobende Erwähnung der Jury hängt jetzt bei mir überm Schreibtisch, aber am meisten habe ich mich gefreut, als Zhang Yimou, der Regisseur von der „Roten Laterne“ und Mitglied der Jury, gesagt hat: „Wir können auch anders“ wäre der einzige Film im Wettbewerb gewesen, den auch das Kinopublikum in China verstehen würde. Das Gespräch führte

Wilfried Higgen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen