Forum verschwindet

■ Heute zum letzten Mal: "In Zukunft" 20.45 Uhr, West 3

Die Fliegen sitzen zuhauf in den Augen verhungernder somalischer Kinder. Vom schlechten Gewissen geplagt, spendet der Fernsehzuschauer für „Brot für die Welt“. Sein Gewissen ist damit entsorgt, die Zusammenhänge jedoch verkannt. Deutschland macht seine Grenzen dicht. Das Boot ist voll, mehren sich Stimmen der Rechten.

Um statt Fliegen in Kinderaugen weniger spektakuläre Ausprägungen dieses transkontinentalen Neofeudalismus zu filmen, ist Malte Rauch mit Jean Claude Diallo in dessen Heimatland Guinea gefahren. Guinea hat 600.000 Flüchtlinge aus dem Nachbarstaat Liberia aufgenommen. Dort herrscht auf Kosten der Bevölkerung mit importierten Westwaffen Bürgerkrieg um die Nachfolge des gestürzten Diktators. In Deutschland weiß man davon nichts. Die Berichterstattung beginnt erst ab einer bestimmten Anzahl Toter. Im Interview erklärt der Guineische Innenminister haarklein, daß der institutionelle Apparat einer Demokratie genau das Geld kostet, was von außen kommt. Am Tropf des Internationalen Währungsfonds hängend, wird den verschuldeten afrikanischen Staaten wie Guinea daher von den Gläubigern die Politik vorgeschrieben: Abbau von Sozialleistungen, damit die Schulden zurückgezahlt werden können.

Mit einem Szenenwechsel hin zu den Fleischtöpfen der hiesigen Agrarwirtschaft macht die Reportage „Flüchtlinge fallen nicht vom Himmel“ daraufhin deutlich, daß wirtschaftliche Prozesse länderübergreifend verkettet sind. Von der EG subventionierte Agrarwirtschaft führt zu Butter- und Fleischbergen, welche durch erneute Subventionen aggressiv exportiert werden. Die Wirtschaft der Entwicklungsländer wird auf diesem Weg im Keim erstickt. Durch Subvention künstlich billig gehaltene Importprodukte übervorteilen die dortige Produktion, wodurch die wirtschaftliche Abhängigkeit potenziert wird – was wiederum Demagogie, Bürgerkrieg und Flüchtlingsströmen den Weg ebnet.

Aus diesen Fakten montieren Rauch und Diallo keine agitatorische Predigt. Diese Reportage appelliert nicht an emotionale Reflexe à la „SpiegelTV“ oder „SternTV“. Keine spektakulären Erschießungen und keine verhungernden Kinder sind zu sehen. Statt dessen hat Rauch den Glauben daran noch nicht verworfen, daß man im Medium Fernsehen Mißstände nicht nur motivmäßig ausbeuten kann, sondern jene Prozesse nachgezeichnet werden können, die zu ihrer Ausprägung führen.

Um irrationalem Fremdenhaß gegenzusteuern, stünde es einem öffentlich-rechtlichen Kanal daher gut zu Gesicht, derartige Filme nicht aus dem Programm zu streichen, sondern zu pflegen. Mit der Reportage von Malte Rauch und Jean Claude Diallo verschwindet die WDR-Reihe „In Zukunft“ jedoch vom Bildschirm. Grund: zu wenige Zuschauer. Mit dieser Reihe verabschiedet sich ein Forum, das eines der letzten ist, in denen abseits vom aktualitätsbezogenen Konflikt- und Sensationsjournalismus strukturübergreifende Zusammenhänge vermittelt wurden. Manfred Riepe