: Funky Reflektion
Denotationsebene, Konnotationsebene — „mein Gott, ich habe Abitur und verstehe es trotzdem nicht“ Fragen und Antworten im Pop-Puzzle mit der Hamburger Band Die Sterne. Ein Interview ■ von Jörg Heiser
Neues aus Hamburg: Die Sterne haben eine wichtige Platte gemacht, Titel: „Wichtig“ (siehe auch Kasten). Unser Autor traf Frank Spilker (Text, Gitarre) und Christoph Leich (Schlagzeug) in Frankfurt.
taz: Eurem Debütalbum scheint eine ziemlich bewußte Entscheidung für bestimmte Spielarten des Siebziger-Soul/Funk vorausgegangen zu sein. Nicht unbedingt der naheliegendste Schritt, weil man hierzulande bei „Funk“ an Dicker-Daumen-Baß und Cocktailmusik denkt.
Frank Spilker: Wir haben zusammen in Hamburg im „Casablanca“ gesessen und HipHop gehört und die Samples entdeckt und dann die Funk- und Soulbands, von denen das ursprünglich war. Wir sind dann erst mal auf die Suche gegangen. Es hat also lange gedauert, und es war natürlich nicht überlegt, sondern so etwas wie eine „Live-Entwicklung“, in der man versucht hat zu „samplen“, also Riffs zu klauen, um nicht so zu spielen, wie wir vorher gespielt haben: also einfach Songs zu schreiben mit Schrammelakkorden. Ich wollte unbedingt eine andere Art finden, Gitarre zu spielen. Daß wir uns auf diesen Stil geeinigt haben und das als Herausforderung begriffen haben – wie können wir das als Rockband aufnehmen? –, hat viel mit HipHop zu tun.
Ich assoziiere mit eurer Musik überhaupt nicht HipHop.
Christoph Leich: Dieser Hintergrund ist auch eher theoretisch.
F.S.: Von den Bands, die in der Thanks-Liste unserer Platte genannt werden, haben wir direkt etwas verwendet, quasi wie im HipHop gesamplet. Das sind all jene Sachen, wo wir noch einen direkten Bezug gesehen haben, also zum Beispiel eine ähnliche Gitarre. Andererseits ist es ja auch nicht nur Funk: Man hört uns schon an, daß wir eine Band sind, die aus den Achtzigern kommt, eine solche Sozialisation hat. Oder auch, daß beispielsweise in „Sowieso drin“ ein Hardcore-Break auftaucht – das würde ja keine Funkband machen.
Eine Funkband hätte auch nie so einen Gesang bzw. Sprechgesang mit solchen deutschen Texten, die eher fragmentarischen, zum Teil abstrakt-reflexiven Charakter haben.
F.S.: So eine Band denkt schlimmstenfalls in den Klischees von „Soul“ und „Sängerin“.
Hast du denn je einen Gedanken daran verschwendet zu versuchen, Soul zu singen?
FS: Ich singe Soul – ich bin überzeugt davon, daß das, was ich da mache, Soulgesang ist. Aber das ist natürlich meine sehr private Definition von Soul. Wir haben einen Satz von Achim Knorr auf unserer Platte, der mal darüber nachgedacht hat, daß er es falsch findet, das, was man im Text sagt, noch einmal durch Tonlage hervorzuheben, denselben Ausdruck also noch einmal zu wiederholen. Weil das immer zu Pathos führt. Ich denke, das ist genau das, was man gemeinhin unter Soul versteht. Das, was die Worte sagen, kann trotzdem etwas mit Soul zu tun haben, auch wenn die Stimme nur so eine „Dringlichkeit“ rauspreßt.
Wobei die „Dringlichkeit“ deines Gesangs ja auch zu dem Vergleich mit beispielsweise Ton Steine Scherben führt.
F.S.: Dann geht das auch Hand in Hand mit dem Text, weil wenn Ton Steine Scherben diese Dringlichkeit haben, sind sie auch parolenhaft.
Deine Texte handeln von dem Problem, einmal angetreten zu sein, Musik mit den Pop- und Independent-Idealen der Achtziger zu machen, und nun vor den politisch sich aufzwingenden Fragen der Neunziger zu stehen.
F.S.: In den achtziger Jahren war es leichter, sich über tagespolitische Themen hinwegzusetzen, und nun sieht man sich gefordert, sich auch dazu zu äußern – auch wenn es dann in dem Stück „Hier“ heißt: „Das Lied, das ich am nötigsten hab', ist das Lied, das ich am wenigsten mag“ – als Sonic-Youth- Zitat, die ja auf ihrer letzten Platte die Zeile „The Song I hate“ in dem Stück „Youth Against Fascism“ hatten. Man fühlt sich gefordert, einen politischen Standpunkt zu beziehen, weil man mit „dem Sound“ keine Haltung einnehmen kann. Das ist auch gut so.
Deine Texte reden ja auch davon, was für ein Problem es ist, einen Text zu machen, im Zusammenhang mit Musik zu Aussagen zu kommen – was sich zum Beispiel in Wörtern wie „Formulierungswahn“ ausdrückt. Das ist ja auch ein Merkmal der „Hamburger Schule“, der Bands von Kolossale Jugend über Cpt. Kirk bis Blumfeld – Reflexionen über das eigene Sprechen und das Scheitern daran, „Verbindlichkeit“ zu
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schaffen, eine „klare Popsprache“ zu finden.
F.S.: Es ist nicht das Problem, Verbindlichkeiten nicht schaffen zu können, sondern daß es vielleicht Zeiten oder Entscheidungen gibt, das bewußt nicht zu tun, bei dem Bodensatz an Gedanken und Eindrücken zu bleiben. Und das würde ich dann auch wieder „Soul“ nennen. Wenn man dabei nichts ausklammert, spielt natürlich auch die eigene Situation eine Rolle, und die ist bei mir stark von der „Hamburger Schule“, wie du das nennst, geprägt. Das ist einfach unser Ort.
Siehst du auch andere musikalische „Orte“, wo es eine Thematisierung des eigenen Arbeitens so explizit gibt?
F.S.: Man müßte mal nachforschen, aber ich denke, daß es das gerade bei älteren Künstlern oder Stars gibt: Ich reflektiere im Song meine eigene Position. Ich reflektiere meine vergangenen Jahre, das ist ja ein klassisches Thema des Rockstars. Aber dezidiert über die Probleme des Mißverstandenwerdens oder überhaupt Ausdrückefindens in der Metaebene zu reden ist als Mode wahrscheinlich neu. Und als Mode gefällt mir das wirklich sehr gut, daß verschiedene Leute anfangen zu erklären, warum sie das tun, was sie tun.
Aber es ist doch auch eine Mode, die ein Hindernis ist für Teile eines potentiellen Publikums, die sich für die Musik begeistern wollen, aber sich unbehaglich fühlen, wenn sie mit „Diskursen“ konfrontiert werden. Da schwingt natürlich ein ziemlich dumpfer Unwille mit, sich überhaupt auf solche reflektiven Geschichten einzulassen.
F.S.: Das ist ganz klar ein Problem, absolut. In dem Moment, wo wir aufhören, diese einfach nachvollziehbaren Verbindlichkeiten zu schaffen, wo es Schwierigkeiten auf so einer Denotationsebene gibt, wo man nicht gleich die „Kernfakten“ um die Ohren gehauen bekommt, schalten bestimmt 50 Prozent der Leute, die ich kenne, ab. Weil sie sich beleidigt fühlen. Da hört man immer: Mein Gott, ich habe Abitur und verstehe es trotzdem nicht. Oder die andere Reaktion: Mir ist sowieso egal, was die quasseln. Dabei ist es gar nicht so gemeint – wir fordern ja von niemand, diese Puzzles zusammenzusetzen und die wilden Gedankensprünge vollständig nachzuvollziehen. Ich halte das für ein Mißverständnis. Ich sehe auch bei Bands, die sich vordergründig klar äußern, wie Huah! oder den Lassie Singers, daß die erst recht mißverstanden werden, einfach weil man bei den Lassie Singers nur die „hysterischen Mädchen“ sieht und bei Huah! nur noch die Spaßmacher. Die andere Dimension, die die Musik auch noch hat, wird dabei völlig vergessen.
Es ist ja teilweise auch bei euch der Versuch da, bewußt mit Plattheiten zu arbeiten. Passendes Beispiel ist eure erste Maxi „Fickt das System“. Hat das was gebracht?
F.S.: Das funktioniert wirklich auf einer ganz platten Ebene, also da, wo nicht hingehört wird, sondern nur registriert wird: Die Sterne haben eine Platte gemacht, die „Fickt das System“ heißt. Ab da wurden wir des öfteren als Agitprop-Band gehandelt, was dafür spricht, daß die Leute sich das wieder überhaupt nicht richtig angehört haben. Aber das zählt letztendlich: was du auf die Fahnen schreibst als Überschriften, wie „Aspirin & Drogenbeat“ (Titel der Tournee der Band, d. Red.).
Sind denn die Texte, in dem Moment, in dem du sie schreibst, schon bewußt an einen Hörer gerichtet?
F.S.: Ja, der scheiß Reim und der Rhythmus. Aber das ist eigentlich nicht so schlimm. Da gibt es verschiedene Phasen: Was ich bei den Texten, die ich im Moment habe, am meisten mag, ist, daß ich sie in einem Zug aufschreiben konnte und sie mit nur wenigen Änderungen funktioniert haben. Daß sie in Echtzeit einen Bewußtseinsspiegel bilden und sehr roh und unbearbeitet auch im Song landen. Ich finde das sehr spannend: Sie sind als Stimmungsbilder eigentlich nachvollziehbarer. Aber ich bewerte das Zeug hinterher: Was hat dieser Text für einen Sinn, auf der Welt zu sein? Das hat zur Folge, daß ich ziemlich viel wegschmeiße. Oder auch kommentiere. Daher kommen oft auch die Parolen: daß man am Text einen Bezug setzt, zu dem er dann gelten soll.
In dem Stück „Hier“ heißt es: „Man würde lieber Ausländer sein/ Als gieriges kleines Inländerschwein/ Nur wenn das eine nicht geht, wo fängt das andere an/ Wenn das Problem ist, daß man wo man ist/ nichts anderes sein kann.“ Die Frage bleibt im Song offen. Kannst du sie jetzt beantworten?
F.S.: Könnte ich beantworten, weil das im Grunde eine ganz einfache Frage ist. Aber ich will klarmachen, daß das Willkür ist, bestimmen zu wollen, wo „Ausländer“ oder „Inländer“ anfängt.
Für mich wird im Song nicht ganz klar, ob du diese Kategorien ablehnst. Man könnte es als die Frage lesen: Wo fängt der Nazi in mir an?
F.S.: Ich halte das auch für eine durchaus berechtigte Frage. Es geht ja in dem Stück darum, daß man sich ärgert, deutlich werden zu müssen, weil währenddessen interessante Dinge liegenbleiben. Das nervt natürlich. Das Deutlichwerden heißt: erst einmal klarstellen zu müssen, daß man es ablehnt, sich über „Nation“ zu definieren. Das „Raus hier“ am Ende des Textes heißt, aus der Vorstellungswelt, die mit dem Begriff „Nation“ verbunden ist, fliehen zu wollen. Das ist natürlich zunächst ein frommer Wunsch.
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