■ Literarisches: Schreiben zwischen den Kulturen
Lesung im Literaturhaus Frankfurt mit Biyi Bandele-Thomas aus Nigeria und Robert Gernhardt aus Deutschland
Wenn es um die Begegnung, um die Konfrontation mit anderen Kulturen geht, dann gilt die Aufmerksamkeit in erster Linie der „fremden“ Kultur. Niemand kommt auf die Idee, die eigene Kultur, in diesem Fall die deutsche, auch distanziert und aus einem besonderen Blickwinkel heraus zu betrachten. Das Frankfurter Literaturhaus stellte vor kurzem gleichzeitig zwei Schriftsteller vor: Biyi Bandele-Thomas kommt aus Nigeria und Robert Gernhardt aus Deutschland. Unter dem Motto „Isoliert im Großstadtdschungel“ startete man den Versuch, zwei Künstler, zwei Menschen mit ihren Erfahrungen und Gedanken miteinander zu konfrontieren. Der konstruierte Dialog und die zwangsläufige Auseinandersetzung mit dem künstlerischen Schaffen des jeweils anderen waren Spannung genug, um eine ungewöhnliche Begegnung zustande kommen zu lassen.
Biyi Bandele-Thomas zeigt in seinen beiden Romanen „Bozo David Hurensohn“ und „Kerosin Mangos“ ein schrill-skurriles Nigeria, das dem Leser ein anderes Afrika-Bild präsentiert, als er es durch die westliche Brille präsentiert bekommt. Bandele-Thomas schert sich in seinen Romanen nicht darum, daß die Themen seiner Bücher wie Inzest, Drogenkriminalität und Gewalt auf den Straßen als Soziogramme aufgefaßt werden und er somit ein gewisses Nigeria-Bild bei den westlichen Lesern prägt. Für ihn steht die Literatur und die Fiktion im Mittelpunkt. Seine Beschreibungen erheben nicht den Anspruch, ein Dokument zu sein; sie sind vielleicht nicht wirklich, aber sie sind in sich wahr. Genau diesen Anspruch erhebt auch Robert Gernhardts Werk. Die Gedichtbände „Lug und Trug“ und „Körper in Cafés“ beschreiben das verletzliche, aber auch das verletzende Individuum in einem Großstadtdschungel. Für Gernhardt heißt dieser Urwald von bizarren Stimmen, Klängen und Tönen schlicht Frankfurt. Als Gegenstück präsentiert Bandele- Thomas die sozial überaus zerrissene Metropole Lagos, die Hauptstadt Nigerias.
An diesem Abend wurde der waghalsige Versuch gestartet, zwei kulturell unterschiedliche Schriftsteller in einem literarischen Zusammenhang zu sehen. Unterschiedliche kulturelle Sozialisation und gesellschaftliche und politische Kontexte, in denen ihre Werke zwangsläufig entstehen müssen, werden zunächst einmal ausgeklammert. Andele-Thomas und Gernhardt verbindet die Parallele, daß beide mit dem Problem des modernen Identitätsverlusts humorvoll und sarkastisch umgehen. Für Bandele-Thomas ergab sich an diesem Abend eine weitere Isolation; nämlich die durch die Sprache. Während man im Saal auf deutsch diskutierte und über die komischen Gedichte Gernhardts lachte, war der nigerianische Autor hilflos. Aber gerade diese Tatsache gehörte auch genau zu der extremen Konfrontation, der sich die Autoren, das Literaturhaus und somit auch das Publikum mit dieser Veranstaltung ausgesetzt hatten. So betrachtet ist es erfreulich, daß die Reihe „Schreiben zwischen den Kulturen“ in den nächsten Monaten fortgesetzt wird.
Hakan Soncur
Am 4.Mai findet die nächste Literaturlesung mit Franco Biondi und Sinasi Dikmen von Knohi-Bonbon statt.
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