„Auch auf Ihre Stimme kommt es an“

■ Sozialwahl: Keiner weiß Bescheid, aber alle sollen wählen / Rentner auf dem Vormarsch

Dreimal dürfen Sie in den nächsten Wochen ein Wahlkreuzchen machen. Alle sechs Jahre wieder bitten die Sozialversicherungen, Rentenversicherer und Krankenkassen ihre Versicherten zur Briefwahl. Doch die meisten haben schon wieder vergessen, um was es geht. So können sich durchschnittlich nur rund 40 Prozent der Versicherten zur Teilnahme an der Wahl der Vertreterversammlung entschließen.

„Es ist aber wichtig, es ist eine demokratische Pflicht“, redet ihnen Lothar Weisel, der Bremer Geschäftsstellenleiter der Techniker Krankenkasse, ins Gewissen. Wie ein richtiges Parlament soll diese Versammlung von ehrenamtlichen Kassenmitgliedern die Verwaltung kontrollieren. Selbstverwaltung heißt das.

Das ist die offizielle Variante, meint Jürgen Wassmann, ehrenamtlicher Mitarbeiter bei der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen. Viel ist nicht mehr dran an der Selbstverwaltung, allzuviel wird durch Bundesgesetze bestimmt: Fast der gesamte Leistungsbereich zum Beispiel. Ob Misteltherapie und Handauflegen von der Kasse gezahlt werden, darauf haben die Versicherten also keinen Einfluß.

Der Einfluß ist arg begrenzt

Nur bei der Prävention können sich die Gewählten austoben. Viele „Spielwiesen“ gebe es da, so Wassmann, Ernährungskurse etwa oder Rückenschulung. Aber auch über die Beitragssätze dürfen die Kassen-ParlamentarierInnen bestimmen. Außerdem interessant für die Kranken, Verunfallten und RentnerInnen: Die Gewählten sitzen anschließend in den Widerspruchsstellen, dort also, wo man sich über Verwaltungsentscheidungen (Kur abgelehnt, Goldzahn verweigert usw.) beschweren kann.

Parlament ohne Opposition

Parlamente nennen sie sich, werden vom Volk der Versicherten gewählt, doch eine Opposition, ein parlamentarisches Kräftespiel scheint es in den Vertreterversammlungen nicht zu geben. Wie soll man sich dann für eine der Listen entscheiden? DGB, DAG und wie sie alle heißen; bei der Techniker Krankenkasse beispielsweise stellen sich neun Listen zur Wahl, von der Katholischen Arbeiterbewegung bis zum Verband deutscher Techniker. „Das ist letzlich eine Geschmacksfrage“, meint Wassmann lapidar.

Fast bitter fügt er hinzu: „Da haben die freien Wählergemeinschaften große Chancen“. Diese freien Wählergemeinschaften sind zwar von ihrer Arbeit her, laut Wassmann, recht bedeutungslos, schreiben jedoch populäre Wahlprogramme: „Niedrigere Beitragssätze“ und „mehr Versichertennähe“ steht da zum Beispiel drin. Das klingt gut in den Ohren der Angestellten, denen es, so der Gewerkschafter, ohnehin am Arbeitnehmerbewußtsein mangele.

Wenn die Wählergemeinschaften dann auch noch den Zusatz „Rentner“ im Titel führen, haben sie offenbar schon fast gewonnen. Wassmann: „Die Rentner nämlich nehmen die Wahl wirklich ernst, die haben Zeit, die wählen alle.“ cis