piwik no script img

"Wo lassen die Leute die Wut?"

■ Zum Festival –Deutschland Jugend Gewalt– des Jugendtheaters auf Kampnagel ein Gespräch mit Jürgen Zielinski über die neue Rechte

INTERVIEW

»Wo lassen die Leute die Wut?« Zum Festival

Deutschland Jugend

Gewalt des Jugendtheaters auf Kampnagel

(15.-18.4.) ein Gespräch mit Jürgen

Zielinski über die neue Rechte

Inwiefern kann und soll sich Theater direkt mit Themen auseinandersetzen, die ihre Ursache in ökonomischen und politischen Faktoren haben?

Ich bin ja ein Verfechter der These, daß sich die sogenannte Inszenierungskunst sich einfach nicht zeitlos verstehen darf. Theater muß sich zu gewissen Aktualitäten einfach verhalten, gesellschaftspolitisch verhalten.

Aber welchen Weg siehst du für das Theater, um nicht nur eine Predigt für die Bekehrten zu führen?

Man kann sich über das Programm ein wenig an diese Frage herantasten. Wir beginnen ja an dem Freitag mit der Glatzen-Inszenierung des Schweriner Staatstheaters. Es geht in dem Stück darum, daß ein Regisseur mit Schauspieler versucht ein Stück über Rechtsradikale einzuproben, aber sie können es nicht. Im Anschluß daran zeigen wir Abwege. Und das gehört zusammen, die Frage wie setzt du dich mit Aktualitäten auseinander. Und wenn wir den polnischen Regisseur Jerzy Federowicz einladen, der in Krakau sozusagen Sozialarbeit macht, indem er mit Punks und Skins „Romeo und Julia“ spielt, dann hat man damit eine dritte Ebene. Und damit steht an diesem Wochenende die Frage des Aktualitätentheaters im Raum. Und es ist ja offensichtlich, daß ein gewisses liberales Refugium in der ganzen Auseinandersetzung um Neonazismus nicht begriffen hat, daß man gewalttätig sein kann. Diese psychologischen Fragen an das Individuum, von Gewalt und Gesellschaft, die können und müssen auf dem Theater gestellt werden.

Der zentrale Abend von „Deutschland Jugend Gewalt“ besteht aus vielen kurzen Stücken. Erlaubt so ein Programm überhaupt noch eine kritische Reflexion?

Der Abend hat den Charakter von Dialogtheater. Hier wird versucht, zwischen Talkshow, Szenen und inhaltlichem Beitrag Verbindungen zu schaffen. Es ist nicht der Versuch eines montierten Abends, an dessem Ende durch einen dramatischen Bogen eine Erschütterung steht. Ich finde es einfach wichtig, daß an diesem Abend geredet wird.

Wie sieht der Ablauf aus?

Es gibt verschiedene Blöcke. Wir beginnen mit der Frage „Jugend und Jugendtheater“ und beginnen deswegen auch an einem lebendigen Denkmal wie Volker Ludwig (vom Berliner Grips-Theater), gehen dann über zu einer Szene der Roten Grütze und thematisieren da den unmittelbaren Vorgang von

1Gewalt. Dann versuchen wir auf Grund dieser Szenen schwerpunktmäßig auf die Fragen „Jugend und Gewalt in Deutschland“ zu kommen und das mit der Frage des Jugendtheaters zu verbinden. Kein Betroffenheitsabend sondern eine lustvolle Auseinandersetzung.

Was ist deine These zum Verhältnis der Theater zur Gewaltentwicklung?

1Wir hinken dem Gewaltphänomen hinterher, wir können es strukturell festmachen, wir können von der Orientierungslosigkeit sprechen, aber das Innenleben, die Frage der Innenbeleuchtung ist weiterhin wichtig anzudiskutieren. Eine wichtige Frage ist zum Beispiel „Mit Neonazis ins Gespräch kommen oder zurückschlagen.“

Was erwartest du von dem Abend?

Ich bin selbst gespannt wie diese Hauptveranstaltung abläuft, aber nur die Leute singen lassen, wie das Thalia, das ist dann doch ein wenig zu einfach. Reibung wäre gut. Andererseits merken wir auch sehr deutlich, daß schon wieder so ein Sättigungsgrad eingetreten ist. Wir machen die Veranstaltung ja jetzt zu einem Zeitpunkt, wo mit der Hessenwahl der Rechtsradikalismus schon völlig normal geworden ist. Es herrscht ja scheinbar eine Agonie, ein Schock, oder es ist jetzt eben einfach parlamentarisiert. Vielleicht sind sie da ja auch am ehesten kontrolliert, vielleicht ist das ja sogar gut. Wir wollten ja eigentlich auch einen Bundesligaspieler haben, aber die wenigen die da denken können, die sind ebenso müde, wie viele Experten. Richard Golz zum Beispiel will nicht, kann nicht, darf nicht. Beidersdorfer auch nicht. Auch jemand wie Rio Reiser hat inzwischen bei so einem Anlaß seine „Studiotermine“.

Was den Rechtsradikalismus unmittelbar angeht, hat mich am mei-

1sten diese Parole „Stoppt den Haß“ genervt. Ich habe mich immer gefragt, wo lassen die Leute die Wut? Wenns mal ein Ruck gegeben hätte, der sich kurzfristig in der Breite der Bevölkerung mit Gewalt auf Sachen bezogen hätte, ich glaube, das wäre besser gewesen. Denn wo läßt man das alles, was in den letzten fünf Jahren auf diesem Erdball passiert ist? Deshalb denke ich, muß es wieder um das Menschenbild gehen und diese Frage „Menschenbild – Gesellschaft – Theater“ war im Sinne des Theatermachens lange nicht mehr so sinnvoll wie jetzt.

Fragen: Till Briegleb

Theater Junge Generation Dresden, Die Geiselnahme, 15.4/16.4., geschlossene Veranstaltungen

Staatstheater Schwerin, Glatze, 16.4., 19 Uhr, Kampnagel 6

JAK, Abwege, 15.4./16.4., 19 bzw. 21 Uhr, K4

carrousel Theater Berlin, Alles beim Alten, 18.4., 17 Uhr, Foyer 4

Theaterhaus Stuttgart, Was heißt hier Liebe (Neubearbeitung), 18.4., 19 Uhr, K4

Non Stop Gegen Rechts (alle Beteiligten sowie Das Auge Gottes, Absolute Beginners und Slime), 17.4., K6

Bodo Morshäuser, 18.4., 12 Uhr, Motte

Klaus Farin, 16.4., 20 Uhr, Buchhandlung Nautilus

Jerzy Federowicz, 18.4., 12 Uhr, Foyer 2

123

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen