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Bürokratische Hürden für vergewaltigte Frauen

■ Für ihre Flucht brauchen bosnische Frauen einen „Mißhandlungsnachweis“

Berlin (taz) – Die rechte Hand weiß nicht genau, was die linke tut. Diesen Eindruck vermitteln zumindest Auswärtiges Amt und Bundesinnenministerium, wenn es um Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien geht, insbesondere um vergewaltigte Frauen. Wenn dann noch Bundesländer, Kommunen und Hilfsorganisationen eine Rolle spielen – wird's vollends unübersichtlich.

Beispiel Bremen: Nach kontroversen Debatten und dem Druck eines breiten parteiübergreifenden Frauenbündnisses beschloß der dortige Senat, 98 Flüchtlinge – 30 bosnische Frauen und ihre Angehörigen – sofort aufzunehmen. Unterkünfte sind bereitgestellt, finanzielle und soziale Betreuung geklärt. Der Haken: Es kommen keine Frauen. Und das, obwohl seit Ende letzten Jahres zwischen Bund und Ländern ein weiteres Flüchtlingskontingent für insgesamt 7.000 Kriegsflüchtlinge aus Bosnien vereinbart wurde. Doch bis heute sind nur etwa 1.000 Flüchtlinge gekommen. Das Kontingent, das sich zunächst nur auf ehemalige Internierte aus Gefangenenlagern bezog, wurde inzwischen auch auf vergewaltigte Frauen und ihre Angehörigen erweitert. Für ausreisewillige Flüchtlingsfrauen dürfte es folglich keine Hindernisse mehr geben, nach Deutschland zu kommen.

In Bremen sehen die Erfahrungen anders aus. Hier intervenierte zunächst das Bundesinnenministerium. Verlangt wurde nun ein ärztliches Attest, mit dem Bosnierinnen nachweisen sollten, daß sie auch tatsächlich mißhandelt und vergewaltigt wurden. Ohne Attest kein Visum, ohne Visum keine Einreiseerlaubnis. Nach massivem Protest intervenierte daraufhin das Auswärtige Amt. Inzwischen, so Ulrike Schreiber von der Bremer CDU, gebe es keine Schwierigkeiten mehr. Die deutsche Botschaft in Zagreb sei angewiesen, Frauen ohne Prüfung ein Visum auszustellen. Daß es plötzlich so einfach gehen soll – kaum zu glauben.

Denn inzwischen haben sich Außen- und Innenministerium auf eine neue Linie geeinigt. Anstelle der Kategorie „vergewaltigte Frauen“ gilt jetzt ein neues, erweitertes „Auslegungskriterium“, nämlich das der „traumatisierten Kriegsopfer“. Und sowohl Auswärtiges Amt als auch Ministerium des Inneren bestätigen: Bevor Flüchtlinge dieser „Kategorie“ in Deutschland aufgenommen werden können, müssen sie der deutschen Botschaft eine Bestätigung vorlegen können, die ihnen bescheinigt, daß sie „traumatisierte Kriegsopfer“ sind. Entsprechende Bescheinigungen, die dem „Mißbrauch vorbeugen sollen“, stellen internationale Hilfsorganisationen wie das Hohe Flüchtlingskommissariat der vereinten Nationen (UNHCR) und das Internationale Komitee des Roten Kreuz (IKRK) vor Ort aus. Für die Verständigung der Organisationen ist das Auswärtige Amt zuständig. Dort heißt es: „Die werden zu gegebener Zeit von uns informiert.“ MitarbeiterInnen des UNHCR in Zagreb wurden allerdings bisher nur explizit dazu aufgefordert, ausreisewillige ehemalige Internierte und deren Angehörige mit Hilfe von Listen des IKRK zu „identifizieren“. Eine entsprechende Anweisung, auch „traumatisierte Kriegsopfer“ zu identifizieren, erging bisher nicht. Und das würde, zumindest im Fall von vergewaltigten muslimanischen Frauen auch nicht funktionieren, meint Marie De Lasoudi'ere, Mitarbeiterin des UNHCR in Zagreb: „Die meisten bosnischen Frauen wollen nicht über die erlebten Vergewaltigungen sprechen.“ Ihr Schweigen sei für die Betroffenen vor allem ein Schutz, „ein Schutz vor der Stigmatisierung“.

Vergewaltigung als geschlechtsspezifischer Fluchtgrund? Bei den Erfahrungen mit bürokratisch penibler Gründlichkeit, die alles überprüft haben will, bleibt letztlich zu fragen, ob Überlebende von Vergewaltigungen sich das antun sollten. Stigma bleibt Stigma, auch in der so aufgeklärten bundesdeutschen Gesellschaft. flo

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