■ Die Briten planen eine Reform ihres Verleumdungsgesetzes: Rufmord soll billiger werden
London (taz) – Bundeskanzler Kohl soll seit Jahren ein deftiges Verhältnis mit einer Pfälzer Saumagen-Köchin haben? Fiese Lüge. „Wer ein reines Gewissen hat, wählt alles andere als die CDU“, soll Wolfgang Schäuble sinniert haben? Ausgemachter Blödsinn! Natürlich handelt es sich dabei nur um schmutzige Phantasien, die ihre Inspiration aus der benachbarten Weltgeschichte schöpfen, wo ähnliche Schlagzeilen immer wieder für Furore sorgen.
Im Königreich Großbritannien, wo derzeit offenbar ein Ruf nach dem anderen dem wilden Gemetzel zwischen meuchelnden, gemeinen JournalistInnen und sensiblen Royals und PolitikerInnen zum Opfer fällt, müssen solche VerleumderInnen nicht nur damit rechnen, daß der Arm des Gesetzes nach ihnen greift, sondern es droht auch noch Gruppenkeile von der gesamten Verlagsbelegschaft, die sie in jede Rufmordkampagne gleich mit hineinziehen. Das geltende Gesetz macht's möglich.
Würde Helmut Kohl beispielsweise als Bewohner von Downing Street No.10 besagte fiese Lüge als Schlagzeile in seiner Frühstückslektüre finden, müßte ihm nicht gleich das Schinkenbrötchen im Halse steckenbleiben – im Gegenteil: Der Kanzler könnte sich in Ruhe einen zweiten Kaffee einschenken lassen und dabei eine Rache-Liste ausarbeiten. Er hätte die Qual der Wahl. Verklagen könnte er nämlich nicht nur die Verfasserin, sondern auch alle beteiligten DruckerInnen und VertreiberInnen, bis hin zu dem Zeitungskiosk, der die Geschmacklosigkeit unters Volk bringt. Diese Praxis, in der auch Kohls Kollege Major schon geübt ist, ist in Britannien gang und gäbe – und bringt so manches mutige Blatt in Atemnot.
Steve Platt, Herausgeber des politischen Magazins New Statesman, forderte die Regierung daher jetzt zu einer Reform der Verleumdungsgesetze auf. Dazu hat sein nicht gerade finanzstarkes Blatt allen Grund: Erst vor wenigen Tagen wurde es zu einer Geldstrafe von 8.000 Pfund verurteilt. Das Geld dient zur Entschädigung des ehemaligen Tory-Parteichefs Lord Tebbit, den der Statesman mit den Worten zitiert hatte: „Kein Mensch mit reinem Gewissen wählt die Konservativen.“ Das Zitat stammt ursprünglich aus der Tageszeitung The Guardian, die Tebbit dafür bereits vor sechs Jahren eine Entschädigung hatte zahlen müssen. Der Lord gab sich nun nicht mit einer Klage gegen den Herausgeber des Statesman zufrieden, sondern setzte noch eine gegen die DruckerInnen drauf, die die Rechnung gleich um 4.500 Pfund in die Höhe trieb.
Platt fürchtet nun, diese Taktik könnte bei vermeintlichen Rufmordopfern einreißen und ins Unermeßliche ausufern. Er ist tatsächlich ein gebranntes Kind: Mit der Verbreitung der Nachricht von Premier John Majors mehr als kulinarischer Vorliebe für den Party- Service einer Clare Latimer hatte das Magazin sich erst im vergangenen Monat 122.000 Pfund Strafe eingehandelt. Damit ist die Sache noch lange nicht gegessen. Gerichtsurteile gegen Platts Ko-Autorin und eine Zeitungsladenkette stehen noch aus. Die Rechnungen werden die Verurteilten dann gleich an ihn weiterreichen.
Der gebeutelte Herausgeber fordert nun, Verleumdungsangelegenheiten künftig im Zweikampf auszutragen und dritte Parteien – wie etwa ZeitungshändlerInnen – außen vor zu lassen. Schon länger beschäftigen sich auch die Justizbehörden mit diesem Ansinnen. Wie ein Sprecher des Houses of Lords erklärte, sei eine Reform des Verleumdungsgesetzes bereits absehbar. Guter Ruf wird also demnächst in Britannien vielleicht nicht mehr ganz so teuer sein wie bisher. Und das ist die Wahrheit. Antje Passenheim
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