Japan hilft Rußland milliardenfach

Kehrtwende der japanischen Rußlandpolitik ermöglicht 30-Milliarden-Dollar-Hilfspaket für Moskau/ Streit um die Kurileninseln soll dem Hilfspaket nicht mehr im Weg stehen  ■ Aus Tokio Georg Blume

Japan plant eine Neuausrichtung seiner Rußlandpolitik, welche die fernöstliche Wirtschaftsmacht binnen kurzer Frist zu einem Hauptträger westlicher Wirtschaftshilfe für Moskau machen würde. Nach Ende des amerikanisch-russischen Gipfels in Vancouver kündigte der japanische Premierminister Kiichi Miyazawa in Tokio ein konkretes Hilfspaket der G-7-Gruppe an, das nach Auskunft japanischer Diplomaten insgesamt 30 Milliarden Dollar umfassen soll. Bei der Finanzierung des Pakets will Japan erstmals eine führende Rolle übernehmen.

Als Vorsitzender der G-7-Gruppe in diesem Jahr hat Tokio für die kommende Woche ein Treffen der Außen- und Finanzminister einberufen, das die neuen Hilfsmaßnahmen beschließen soll. Noch bis vor wenigen Tagen hatte Premierminister Kiichi Miyazawa ausgeschlossen, daß es auf dem Ostertreffen der G-7-Gruppe bereits zu konkreten Beschlüssen kommen könne. In den Wochen zuvor war Japan sowohl von der Bundesregierung und dem französischen Präsidenten François Mitterrand für seine zurückhaltende Rußlandpolitik kritisiert worden. Bundesaußenminister Klaus Kinkel bezeichnete das japanische Verhalten als „Hindernis“ für die Koordination der Rußlandhilfe.

Das plötzliche Einlenken der Tokioter Regierung stellt die erste deutliche Korrektur in der japanischen Rußlandpolitik seit Ende des Kalten Krieges dar. Demnach stellt Tokio der russischen Regierung 10 Milliarden Dollar neuer, bisher nicht veranschlagter Hilfsgelder aus dem G-7-Kreis in Aussicht. Davon könnte Japan den Löwenanteil übernehmen. Das neue Geld soll vor allem russischen Kleinunternehmen und der Privatisierung von Staatsbetrieben dienen. Besondere Maßnahmen sind außerdem zum Wiederaufbau der russischen Energiewirtschaft vorgesehen. Hinzu kommen Schuldaufschübe in der Höhe von 15 Milliarden Dollar, welche die G-7-Gruppe bereits vergangene Woche mit Moskau ausgehandelt hatte. Weitere 5 Milliarden Dollar, die das Paket komplett machen sollen, sind in neuen bilateralen Hilfsprogrammen für Moskau veranschlagt. Beamte des Tokioter Außenministerium sagten voraus, daß Japan mehrere Milliarden Dollar Hilfe leiste und damit neben Deutschland zum führenden Geberland von Rußlandhilfe avanciere. Unmittelbarer Auslöser für den japanischen Regierungsentscheid war der Gipfel in Vancouver. US-Präsident Bill Clinton stellte sich dort erstmals hinter die japanischen Territorialforderungen an Rußland und erfüllte damit die zentrale Bedingung für die Tokioter Kooperationsbereitschaft. Bisher waren alle Annäherungen zwischen Moskau und Tokio am Streit um vier kleine Fischerinseln der Kurilengruppe nördlich von Hokkaido gescheitert. Stalin hatte die Inseln 1945 nach Ende des Krieges annektiert. Seitdem besteht Japan auf der Rückgabe der Kurilen und weigert sich deshalb, einen Friedensvertrag mit Moskau zu unterzeichnen.

Sowohl in Tokio wie in Moskau wird der Kurilenkonflikt inzwischen als kurzfristig nicht lösbar betrachtet. Derweil war Japan unter immer stärkeren Druck des Westens geraten, an der Kurilenfrage die Beziehungen zu Rußland nicht scheitern zu lassen. Insofern läßt sich Japans neue Hilfsbereitschaft gegenüber Moskau nicht so sehr als Neuentwurf einer eigenen Rußlandpolitik lesen, sondern vielmehr als Kompromißangebot an den Westen.

Schließlich werden auch 30 Milliarden Dollar auf Dauer nicht reichen. Will aber der Westen Boris Jelzin weiterhin in großem Umfang unterstützen, dann ist er auf japanische Hilfe angewiesen. Japan ist heute das einzige Land der G-7-Gruppe mit relativ gesunden Staatsfinanzen. Seit sechs Jahren verzeichnet der Staatshaushalt kein Defizit mehr. Insbesondere im Vergleich mit Bonn und Washington klimpert der japanischen Regierung das Geld immer noch in den Taschen.