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Großbürgerliche Vernebelungstaktiken

Die Hamburger Ausstellung „Post-Human“ verspielt „das neue Bild vom Menschen“  ■ Von Harald Fricke

Die Frühlingsgefühle der Besucherinnen und Besucher in den beiden Hamburger Deichtorhallen kommen offenbar kaum vom freien Flottieren im Ausstellungsverkehr an der Elbe. Ältere Herren flanieren sichtlich angeregt durch die Sammlung abgegossener Körperteile und symbolisch strömender Wunschproduktionen um Gewalt und Perversion im ausgehenden 20. Jahrhundert. Eine Schulklasse läßt sich brav von Paul McCarthys „Garden“-Installation über sein gestörtes Verhältnis zu Mutter Natur belehren, in deren Namen sich eine männliche Gummipuppe an Plastikbäumen und im Moos kopulierend abarbeitet. Ein Museumswärter muß ständig aufpassen, daß niemand von den 79,5 kg verschütteten Bonbons nascht, mit denen Felix Gonzales-Torres das Lebendgewicht eines Jungen aus L.A. symbolisch in einem der Museumswinkel entleert hat; ein anderer wacht über das Klistierspielzeug von Matthew Barney, damit sich kein Wagemutiger an Dildos, Haken und Deckenclimbing versucht. Die Sonne taucht all die geschundenen, um Erlösung bittenden Artefakte in mildes Licht, scheint barmherzig auf das „Massengrab der Zeichen“, an das selbst Jean Baudrillard nicht einmal mehr im Traum glauben mag.

Jeffrey Deitch hat für seine „Post-Human“-Show liebeslaubengroße Kojen eingerichtet, Nischen, in denen 35 europäische und amerikanische Künstler und Künstlerinnen ihren Phantasmagorien vom Menschen im Zeitalter von Genmanipulation, implantierbaren Intelligenzverstärkern, Medien-Simulation und überhaupt totaler Enthemmung freien Lauf lassen können. Nur wenige sind jedoch, „befreit von den Schranken der Vergangenheit und dem ererbten genetischen Code“, dem Mumpitz vom idealen Retortenwesen gefolgt, von dem Deitch im Katalog schwärmt, daß er „weitere Verbesserungen der menschlichen Form hervorbringen werde“. Dagegen hält Jeff Koons trotz Scheidung weiterhin im irgendwie hyperrealen Raum zwischen Cicciolinas Schenkeln die Stellung; Sylvie Fleury zeigt sich im Kaufrausch und stellt, passend zum Seventies- Revival, schaurig-schöne Korkplateauschuhe als Zeugnisse postfeministischer Apathie aus; Meyer Vaisman parodiert mit präparierten Truthähnen den politischen Neubeginn der Clinton-Ära; und Damien Hirst darf in seinem pharmazeutischen Kaufmannsladen für schwere Fälle die Gemüter bewegen.

Bedenklich ist an dieser kunstbetriebsinternen Leistungsschau allein der unverhohlene Zynismus, mit dem Jeffrey Deitch die Vielzahl der von ihm beschworenen Geister lobpreist. Im Vorfeld der Ausstellung hat er recht wahllos beliebige Phänomene der technischen Entwicklung von Prothesen auf den Gebieten der Medizin und Unterhaltung studiert, um, ganz wie es sich für einen moderaten Kulturmanager, Kuratoren und Positivisten ziemt, zu revolutionären Ergebnissen zu gelangen: „Es wird sich eine neue post-humane Persönlichkeitsstruktur entwickeln, die unsere Anpassung an diese neuen Technologien und ihre sozioökonomischen Auswirkungen reflektiert“, lautet das Resümee seiner populärwissenschaftlichen Abhandlung der „künstlichen Evolution“, deren befremdliche Rassenideologie der blutleere Körperreigen mitunter recht situationskomisch bebildert. So hat Robert Gober „Two spread legs“, haarige, fahlgrüne Männerbeine an die beiden weit auseinanderliegenden Enden einer weißen Wand montiert. Zwischen den Beinen ist das Zentrum verlorengegangen, der Signifikant fehlt.

Das eigentliche Spannungsverhältnis der „weniger rationalen Denkmuster“ liegt laut Deitch vor allem in den neuen Konstellationen von Sex und Geschlechtlichkeit. Aber sein frommer Wunsch nach einer Demaskierung des Begehrens via Telefon-Sex und virtuellem Liebesspiel wird insbesondere von den beteiligten Künstlerinnen unterwandert. Vielmehr beschäftigen sich beispielsweise Kiki Smith und Suzanne Etkins in ihren feministischen Selbst-Entwürfen gerade mit der Enttarnung der „eigentlichen Sache“, für die der ausstellungsmachende Vorreiter nach Hochglanzalternativen sucht. Den Wichsvorlagen aus dem Cyber-Space, für die Deitch sich von ganzem Herzen erwärmen kann, hält Smith den Spiegel der männlich imaginierten Bestimmung von Weiblichkeit entgegen: In „Tale“ zieht eine kriechende Frauengestalt ihre Geschichte als Scheißspur aus Papiermaché hinter sich her, und bei Suzanne Etkins hängen hauchdünne Tüllkleider wie Schweinehäute im Schlachthaus an einem Heißmangelständer. Das durch Jeffrey Deitch blauäugig prognostizierte Konzept vom „Menschen-als-Information“ entlarvt sich am Ende als großbürgerliche Vernebelungstaktik jener Herrschaftsverhältnisse, die Smith oder Etkins auf den Boden der Kontexte zurückholen.

Daneben nimmt sich die selbstbildnerisch in Holz geschnitzte Figurine Stephan Balkenhols unter einem Fliegenpilz wie eine Karikatur auf stille Einfalt und edle Größe aus, von deren ästhetischer Wertschätzung kunstbeflissene Männerbünde bereits seit Lessing träumen – das Schnarchen der Vernunft. Auch die übergroße weibliche Schaufensterpuppe, die Charles Ray in der Eingangshalle plaziert hat, ist nichts weiter als eine weinerliche Reminiszenz an seine geschiedene Frau und sicher keine „gesteigerte Vision einer post-humanen Entwicklung bar aller Affekte und Gefühle“, von der Deitch im Katalogtext bewundernd ausgeht. Fern aller Männerphantasien aber wartet das lila gewandete Supermodel jedoch in erster Linie auf einen Käufer. Noch ist die Puppe im Besitz der Burnett Miller Gallery, Los Angeles.

„Post-Human“ ist bis zum 9. Mai in den Hamburger Deichtorhallen, Altländer Straße, zu sehen. Der Katalog kostet 39 DM.

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