piwik no script img

Unternehmen Aktensprung

■ Rückführung des Preußischen Staatsarchivs nach Berlin beginnt / Getreidespeicher dient als Zwischenlager

Berlin. Mit dem Eintreffen des ersten Güterwaggons von fast 500 laufenden Metern Akten im Berliner Westhafen begann gestern die Rückführung der Bestände des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz aus Merseburg in Sachsen-Anhalt nach Berlin. Mindestens ein Jahr wird die vollständige Rückführung dauern. Ein kurzfristig umgebauter Getreidespeicher dient für mehrere Jahre zunächst als Zwischenlager der Dokumente. Nach fast 50 Jahren ende mit dem „Unternehmen Aktensprung“ die Zerstückelung willkürlich auseinandergerissener Bestände infolge Krieg und deutscher Teilung, sagte der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Werner Knopp, vor Journalisten.

Insgesamt muß ein Aktenberg von 25 Kilometern Länge in etwa 100 Waggons nach Berlin geschafft werden. Als eines der größten deutschen Archive hatte das Preußische Geheime Staatsarchiv 1924 in Berlin-Dahlem seinen Sitz erhalten. 1943 überwiegend ausgelagert, überstanden die Sammlungen den Krieg unversehrt in Kali- und Salzbergwerken von Staßfurt und Schönebeck/Elbe, blieben jedoch für Berlin verloren. Nach einer umfassenden „Sichtung“ durch die sowjetische Besatzungsmacht waren die Archivalien 1948 der damaligen Landesregierung Sachsen- Anhalt übergeben und 1950 nach Merseburg gebracht worden. Zu DDR-Zeiten hatte das Preußische Geheimarchiv dem Ministerium des Innern unterstanden und war mit Einschränkungen wissenschaftlich zugänglich.

Kontakte mit Berlin-Dahlem, wo ungefähr 20 Prozent der Bestände weiter gepflegt wurden, paßten nicht in die politische Landschaft des geteilten Deutschlands. Wie Knopp erläuterte, begannen die Gespräche über eine Zusammenführung sofort nach dem Mauerfall. Im Interesse der Wissenschaft und der „historischen Dimension“, die Berlin mit dem Archiv zurückerhalte, habe man sich für einen provisorischen Anfang außerhalb des einstigen Dahlemer Sitzes entschlossen. Dort befindet sich derzeit das Museum für Volkskunde.

Die ältesten der Urkunden und Schriften stammen aus dem 12. Jahrhundert. Letzte Dokumente reichen bis ins Jahr 1945. Originalhandschriften der preußischen Könige wurden ebenso archiviert wie Staatsverträge, Baupläne, Besitzurkunden und Patente. Bisher sei lange nicht jede Akte gesichtet, meinte Joachim Lehmann, Leiter der Archivabteilung Merseburg. Nur wenige Verluste seien zu beklagen.

Lehmann zählte dazu beispielsweise „verschwundene Staatsverträge“ Preußens mit den Großmächten sowie Dokumente über die deutsche Arbeiterbewegung. Entgegen der amtlichen Namensführung „Geheimes Staatsarchiv“ hat zu den Akten jeder Interessierte Zugang. Mancher Rückgabeanspruch von Erben ließe sich hier sicher schnell klären, so Lehmann. Auch für die Restaurierung des alten Berlin und der Schlösser in der Mark Brandenburg besitze das Archiv wertvolle Quellen. dpa

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen