: Die Hauptstadt ist eine Bibliotheken-Provinz
■ Kultursenator gab Studie über die Situation der Berliner Bibliotheken in Auftrag
Spandau. „Dieses Gutachten ist eine Bankrotterklärung für die Bibliothekssituation in Berlin.“ Grund für die harten Worte von Gerhard Hanke, Baustadtrat in Spandau, ist ein Gutachten des Stuttgarter Professors Wolfram Hennig über die „Standorte der öffentlichen Bibliotheken in Berlin“, das gestern von der Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten in der Spandauer Jugendbibliothek vorgestellt wurde.
Im vergangenen Jahr hatte Henning im Auftrag des Kultursenators 214 Bibliotheken in Berlin besucht. Sein Fazit: „Alle siebzehn vorhandenen Hauptbibliotheken liegen unter dem erforderlichen Flächenstandard. Sechs Bezirke sind ohne Hauptbibliothek.“ Damit die Bibliotheken, mit mehr als 20 Millionen Ausleihen jährlich die bestbesuchtesten Kultureinrichtungen, Anschluß an westdeutsche Standards erhalten, wird der Kultursenat bis zum Sommer einen Bibliotheksentwicklungsplan vorlegen. Zentrale Forderungen sind die Errichtung fehlender Hauptbibliotheken, bezirksübergreifende Planungen sowie die Schaffung einer Landeszentralbibliothek in Mitte.
Fraglich bleibt jedoch, wie diese Pläne zu realisieren sind. Die Investitionsanmeldungen der Bezirke für 1993–97 belaufen sich auf 135 Millionen DM. Der Staatssekretär für kulturelle Angelegenheiten, Wilfried Sühlow, schätzt, daß für die im Gutachten geforderten Maßnahmen die dreifache Summe benötigt wird. Bei der angespannten Finanzlage des Senates eine wohl utopische Zahl. Die vor kurzem für Aufregung sorgende Forderung, 300 Stellen im Bibliothekswesen abzubauen, möchte Sühlo nur in Verbindung mit dem neuen Entwicklungsplan sehen. „Es ist naiv zu glauben, daß man personelle Einsparungen ohne Investitionen durchführen könnte“, sagte er in Richtung des Berliner Abgeordnetenhauses.
Wie schlecht die Berliner in bezug auf Lese- und Studiermöglichkeiten versorgt sind, zeigt der Vergleich der zur Verfügung stehenden Flächen. Der von Henning empfohlene Standard für eine Hauptbibliothek liegt bei 4.000 Quadratmetern, Steglitz hat jedoch nur 1.900 und Spandau 1.300 Quadratmeter zur Verfügung. Auch eine EDV-Nutzung sucht man vergeblich. So ist das Bibliothekspersonal mit mühsamen Verwaltungsaufgaben beschäftigt, statt sich um die Beratung kümmern zu können. „Wir befinden uns bei der Ausstattung der Bibliotheken noch immer im Jahr 1954“, so Gerhard Hanke. Damals wurde der letzte Entwicklungsplan für Bibliotheken im Westteil der Stadt erstellt. hek
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