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Die wahrhaft gute Form

■ Fifties. Interieur und Design in Deutschland im Kunstgewerbemuseum

Die Innenansicht ist in das alltagsmythologische Dunkel von Nierentisch und Tütenlampe abgetaucht, während die Außenansicht der fünfziger Jahre noch immer in großem Umfang im Straßenbild unserer Städte gegenwärtig ist. Grund genug für das Kunstgewerbemuseum Berlin, anläßlich seines 125jährigen Bestehens am 17. April uns Aufklärung und Erhellung hinsichtlich dieses schon historischen Privatissimo von Musiktruhe, Stringregal, Reiseschreibmaschine und glasfaserverstärktem Kunstharzsessel zu versprechen. „Fifties – Interieur und Design in Deutschland 1945–1960“ heißt die Ausstellung, die am Sonntag eröffnet, und die entgegen der Ankündigung im Titel nur auf das Design abhebt. Denn ein Teppich, darauf zwei oder drei Tische gestellt, auf denen sich wiederum die eine oder andere Vase beziehungsweise Schale befinden, nebst ordentlich in Reih und Glied gruppierte Stuhl- und Sesselmodelle, eine Stehlampe und ein Musikschrank: stellen solcherart versammelte Einrichtungsgegenstände ein 'Interieur' dar? Gar in der Form nebeneinandergereihter Länderinseln, Finnland/Schweden, Dänemark, USA, Deutschland und Italien? Es soll hier nicht den mehr als lästigen Ausstellungen zur Alltagskultur das Wort geredet werden, in denen der berühmte „Schneewittchensarg“ von Braun, die Radio- Plattenspieler-Kombination „SK 4“, nicht ohne Peter-Krauss-Plakat und ein halbes Dutzend Jerry-Lee- Lewis-45er-Singles auskommt. Dennoch bleibt fraglich, ob die Antwort auf solche Überkontextualisierung die puristische Schaustellung des idealisierten Einzelentwurfs, der guten Form, des berühmten Designers und des „authentischen Stils“ ist. Das Sich- Einrichten der Deutschen in ein „neues Leben“, wie es nach verlorenem Krieg und in Trümmern liegenden Städten Anfang der fünfziger Jahre hieß, war ein Sich-Ausrichten nach Orientierung von außen. Mit den Ausstellungskarrees der genannten Länder sind die Orientierungslinien gezogen. Doch wäre mit etwas mehr inszenatorischer Phantasie dieser geschichtsträchtige, spannungsreiche Prozeß plastischer geworden. Wie sich etwa die vorsichtig-ängstliche Anlehnung an die internationale Moderne in eine neue, selbstbewußte Lust am Leben, am Entwurf verwandelte. Der Lebensentwurf: westlich-demokratisch und kapitalistisch im einen, sozialistisch-planwirtschaftlich im anderen Teil Deutschlands. Es ging ja um mehr als nur das gute, formschöne Produkt. Das ist nun allenthalben zu bewundern. Die Mode der fünfziger Jahre in sechs Stücken zur Rechten und Skandinavische Möbel zur Linken eröffnen den Rundgang, und beide Ausstellungsinseln präsentieren schlicht „das Beste“. Neben einem cremefarbenen Abendkleid aus Spitze von Pierre Balmain kann die deutsche Haute- Couture von Schulze-Varell bestens bestehen. Die federleichte Eleganz eines amerikanischen Kostümchens oder eines blauen Kurzmantels von Dior findet ihre Widerspiegelung in Alvar Aaltos lichtem Birkenholzhocker „X 600“, stapelbar, sowie dem dazu passenden Eßtisch „X 800“: hohe Kunst der schichtverleimten Holzkonstruktion, wenn die Beine, in eine Fächerform abgerundet, in die konvex ausgeschnittene Platte übergehen. Doch gleich schräg gegenüber zeigt Eero Saarinen das erste elegante Kunststoffensemble für den Wohnraum. Eßtisch „Nr. 172“ und Stuhl (1953–56) irritieren in der bis dato der Küche, dem Kinder- und Krankenzimmer vorbehaltenen Farbe Weiß. Der Stuhl, der „Pedestal-“ oder Tulpensessel mit seinem kräftigen metallenen Mittelfuß und der bauchig auskragenden Kunstharzschale, ist eine wahre Schönheit, und eine Berühmtheit dazu. Saarinen war für Knoll International was Charles Eames für die Firma Hermann Miller war: eine Bank. Eames revolutionärer „Plastic Armchair“, den er zwischen 1948 und 1950 für einen Wettbewerb des Museum of Modern Art in New York entwarf, war in Berlin zum ersten Mal auf der Ausstellung „Wir bauen uns ein neues Leben“ 1952 zu sehen. Egon Eiermann, so läßt sich dank geschickter Ausstellungsführung unschwer erkennen, baute seinen „Biegeholzstuhl“ (1949) dem Eßzimmerstuhl DCW (1940–45) von Eames nach. Der „Dining Chair Wood“ steht für das sogenannte „organic design“, dem 1940 ein Wettbewerb des MoMA gewidmet war. In Deutschland stieß „Organisches“ durchweg auf Ablehnung. Die Gute Form bedeutete immer die konstruktive Form, Funktionalismus. Die „reine“ Form des deutschen Designs in ihrer moralisch höchst beschwerten Geometrie durften ungestraft nur ein anerkannter Architekt wie Egon Eiermann oder der Klassiker des Glas-, Metall- und Porzellandesign, Wilhelm Wagenfeld, zum Swingen bringen.

In den Niederungen des Konsums bot die organische Gestaltung in bizarren Asymmetrien und goldverzierter Dekoration der rationalistischen Strenge Widerstand. In ihren besten Entwürfen eine Art pastellfarbenes Bauhaus- Rokkoko, wäre manche Industrieware der Aufbewahrung durchaus wert. Die Ausstellung belegt durchgängig – ob bei Möbeln, Glas, Keramik, Tisch- und technischem Gerät: die Sammlung des Kunstgewerbemuseums bewegt sich ausschließlich auf ganz sicherem Terrain. Es mag sein, daß dieses so überaus wohlerwogene, überraschungslose Sammeln durch den späten Zeitpunkt seines Beginns bedingt ist. Hätte das Kunstgewerbemuseum nicht erst seit den frühen achtziger Jahren, sondern schon in den fünfzigern gekauft, vielleicht wäre dann das eine oder andere weniger klassische, aber nicht minder beachtliche Stück in seiner Obhut gelandet.

Bei technischen Haushaltsgeräten machte nun die strikte Funktion gewiß schönen Sinn. Die berühmten Elektrogeräte der Braun AG stehen dafür in einer großen Vitrine Zeuge. Wegweisendes Design, assoziiert mit der Hochschule für Gestaltung in Ulm und mit Namen wie Hans Gugelot und Dieter Rams, den wesentlichen Designern der Firma. Nach all den kanonisierten Ikonen avantgardistischen Wohndesigns scheinen Geräte wie die Reiseschreibmaschine Lettera 22 von Olivetti, die elektrische IBM Kugelkopf, der Braun Entsafter und die Starmix-Küchenmaschine in angenehm alltäglicher Bodenhaftung zu stehen. Gebrauchs-werten schönen Schein zeigen schließlich auch die Lampen; die Hänge-, Pendel- und Stehleuchten der großen Dänen Arne Jacobsen und Verner Panton sind als zeitlose Fifties zu erkennen und korrigieren das gerade in diesem Bereich so übermächtige Bild der geziert-affektierten Nachkriegsjahre. Die großen Namen, die mustergültigen Designs, die vorbildlichen Beispiele avantgardistischer Wohnkultur der gezeigten Bestände des Kunstgewerbemuseums, verstehen sich aus der Aufgabenstellung, nicht das „Typische“, sondern das „Prototypische und Dauerhafte“ zu sammeln. Und so findet sich in dieser kleinen und gewiß feinen Ausstellung das „nur Modische“ nicht, dafür aber „die wahrhaft gute Form“. Brigitte Werneburg

„Fifties–Interieur und Design in Deutschland 1945–1960“. Kunstgewerbemuseum, Matthäikirchplatz/ Ecke Tiergartenstraße; 18. April 1993 bis 31. Januar 1994; Katalog 30 DM

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