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„Ick will nich wieder alleene in Knast“

In Frankfurt/Oder beginnt am Mittwoch der Prozeß gegen Kay-Nando B. / Er gehörte zu einer Gruppe Heavy Metals und Skins, die in Eberswalde den Angolaner Amadeu Antonio erschlug  ■ Von Bascha Mika

Kay-Nando B. ist ein Verräter. Das würden zumindest seine ehemaligen Kumpel behaupten. Mit ihnen, rund 50 ostdeutschen Skins und Heavy Metals, war er im November 1990 durch die Kleinstadt Eberswalde gezogen: saufend, gröhlend, randalierend. Dann wollte die Horde „Neger klatschen“. Die Täter trafen ihre Opfer auf der Straße – drei schwarze Vertragsarbeiter aus Angola und Mosambik. Baseballkeulen, Messer, Latten. Tritte, Schläge, Stiche. Die Mosambikaner wurden schwer verletzt, Amadeu Antonio aus Angola zum blutigen, bewußtlosen Bündel geprügelt. Er wachte aus dem Koma nie mehr auf, starb zwei Wochen später, 28jährig. Der erste Ausländer, der in den Fünf Neuen Ländern aus rassistischen Motiven umgebracht wurde.

„Die haben dajestanden und zujekiekt“

Die Polizei hatte die Gruppe den ganzen Abend beschattet. Kay-Nando B.: „Die haben dajestanden und zujekiekt.“ Sie griff erst ein, als alles vorbei war und nahm eine Handvoll Jugendliche fest. Unter ihnen die Brüder Kay- Nando und Sven B. Sie trugen damals noch Glatzen auf den kreisrunden Schädeln, waren massige Gestalten in Skin-Kluft und leicht zu erkennen. Mit vier weiteren Angeklagten sollte ihnen ab Juli vergangenen Jahres der Prozeß gemacht werden. Die Vorwurf lautete auf „Körperverletzung mit Todesfolge“ und nicht auf „Totschlag“ – obwohl die Jungmänner mit dem erklärten Vorsatz losgezogen waren, Schwarze zu überfallen.

Der Prozeß fand statt. Aber ohne Kay-Nando. Er hatte sich abgesetzt. Zwei Monate brauchte die Polizei, bis sie ihn bei seiner Freundin, die nach Stuttgart umgesiedelt war, aufspürte. Inzwischen war sein Verfahren von dem der anderen abgetrennt worden. Aber Kay- Nando B. trat als Zeuge auf, packte aus und gab dem Prozeß eine überraschende Wende.

„Da war nich eener, der nich zujeschlagen hat“

„Ick will nich wieder alleene in Knast“, sagte er damals. Und: „Die Hälfte der Zeujen, die hier uffjetreten sind, waren mit dabei.“ Und: „Alle damals wußten, um wat et jet, und alle wollten et. Da war nich eener, der nicht zujeschlagen hat.“ Bis zu seiner Aussage war es völlig ungeklärt, wer von den Angeklagten in der etwa zehnköpfigen Gruppe um Amadeu Antonio herumgestanden und auf ihn eingeschlagen hatte. Kay-Nando B. belastete drei der Angeklagten schwer, und das Gericht glaubte ihm. Sowohl der Staatsanwalt in seinem Plädoyer als auch der Richter in seiner Urteilsbegründung stützten sich auf Kay-Nandos Aussage.

Im September 1992 wurden die drei Beschuldigten zu vier Jahren Jugendknast verurteilt. Zwei davon leugnen nach wie vor ihre direkte Tatbeteiligung, wollen nur herumgestanden und zugeguckt haben; sie legten Revision gegen das Urteil ein, das bisher noch nicht rechtskräftig ist. Die beiden anderen Angeklagten – unter ihnen Kay-Nandos Bruder Sven – kamen mit ihren Strafen glimpflicher davon.

Jetzt wird Kay-Nando B. selbst der Prozeß gemacht. Ab Mittwoch steht er vor dem Jugendsenat des Bezirksgerichts Frankfurt/Oder und muß sich wegen „Körperverletzung mit Todesfolge“, „gefährlicher Körperverletzung“ und „schwerem Landfriedensbruch“ verantworten. Als die Meute Amadeu Antonio totprügelte, war Kay-Nando mit 20 Jahren „Heranwachsender“. Wird er – wie die Angeklagten im vorausgegangenen Verfahren – zu Jugendstrafe verurteilt, droht ihm bei „Körperverletzung mit Todesfolge“ Haft zwischen sechs Monaten und 10 Jahren, bei „gefährlicher Körperverletzung“ und „Landfriedensbruch“ zwischen sechs Monaten und fünf Jahren.

Dabei hatte sich der 90 Kilo schwere Brocken seine Zukunft so anders vorgestellt. Nachdem er 1989 bereits einmal wegen Körperverletzung hinter Gittern gesessen hatte, wollte er mit seiner Freundin Karin H. und Sohn Max „ein janz normales Familienleben“ führen. So etwas hatte er nie gehabt. Sein Vater hatte ständig in der Kneipe rumgehangen, zu Hause war alles drunter und drüber gegangen. Kay hatte mit einer Maurerlehre angefangen, sie aber nicht zu Ende gebracht.

Schon in Vorwendezeiten gehörten er, sein Bruder und seine Freundin zu einer Gruppe von rund 150 rechtsradikal orientierten Jugendlichen aus Schwedt, Gaartz und Eberswalde. Karin H.: „Wenn Kay mit seinen Kumpels loszog, wollte er wie alle Männer auf hart machen.“ Kay-Nando galt als Häuptling der Bande und bei dem Verbrechen als Haupttäter. Doch als er als Zeuge aussagte – mit Scheitel und Cowboy-Stiefeln statt mit Glatze und Doc Martens – behauptete er: Er hätte zwar auf einen der Mosambikaner mit der Baseballkeule eingedroschen, Amadeu Antonio aber nicht angerührt.

Kay-Nando B. wird vor dem selben Richter stehen wie seine früheren Mitangeklagten. Vor Hartmut Kamp, einem West-Richter, der sich im vergangenen Jahr durch erstaunliche Milde gegenüber schweigenden, lügenden, verschleiernden Zeugen ausgezeichnet hat und dadurch, daß er sich in seinem Sprachschatz nur ungern von dem Begriff „Neger“ trennen mochte.

Trotzdem ist Kamp wahrscheinlich der richtige Mann. Schon beim letzten Prozeß war es derart mühsam, den Tathergang zu rekonstruieren, die skandalöse Schlamperei der Ermittlungsbehörden aufzufangen, verwischten Spuren und verblaßten Erinnerungen nachzuforschen, daß jeder, der sich in diesem Gestrüpp bereits einmal zurechtgefunden hat, ein Gewinn ist. Doch unmittelbar umsetzen darf Kamp seine alten Erkenntnisse nicht. Im Verfahren gegen Kay- Nando B. muß eine völlig neue Beweisaufnahme erfolgen.

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