Magdeburgs fürsorgliche Frauenhelfer

In Sachsen-Anhalts Hauptstadt offeriert der „Tür zu Tür Service“ nächtliche männliche Begleitung für Frauen / Abgewickelte Kader und Ex-Stasi-Herren als Helfer fürs schwache Geschlecht  ■ Aus Magdeburg Karin Flothmann

Breitschultrig und muskulös dürfen sie gern sein. An die Statur eines Arnold Schwarzenegger reichen sie jedoch selten heran. Und auch wenn beim einen oder anderen schon der Bierbauch schwabbelt, ist das dem Image nicht abträglich. Ihre Berufung: Sie sind Frauenbegleiter. Genauer gesagt: 16 gestandene Mannsbilder begleiten des Nachts Frauen auf ihrem Heimweg durch die Straßen Magdeburgs. „Tür zu Tür Service“ nennt der inoffizielle Truppenchef Harry Lammert das. Vom Arbeitsamt mit 17 ABM-Stellen bestückt, sorgt sich seine Schutztruppe seit gut einem Jahr um die verängstigte Bevölkerung der Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt. „Sozialer Dienst für Beratung, Betreuung, Begleitung gefährdeter Personen und Personengruppen“, lautet der amtlich-spröde Name für das Rund-um-die-Uhr-Engagement. Man könnte fast zur Ansicht kommen, der feministische Ruf nach Nachttaxis habe Gehör gefunden. Doch, bewahre. Mit dem Charme verantwortungsbewußter Familienväter zeigen die Herren ein Herz für Opfer. Und Frauen, das ist auch in Magdeburg so, sind potentielle Opfer par excellence. Verängstigt sind sie allemal, das weiß zumindest Schutztruppenleiter Lammert sicher. Und der ehemalige NVA- Offizier ist davon überzeugt, daß die Angst begründet ist. Denn, „wir wissen es doch alle“, seit der Wende haben Kriminalität und Gewalt gegen Frauen stark zugenommen.

So sausen denn Ex-Major Peter Hock und sein Kollege Burkhard Strauß nachts mit gut 70 Sachen durch Magdeburgs Innenstadt, um potentielle Opfer vor Überfall, Vergewaltigung und Handtaschenraub zu schützen. Immer zu zweit, wie Schimanski und Tanner. Ihre erste Station in dieser Nacht: das Arbeitsamt. Mit Nonchalance öffnen sie der Frau, die bis 22 Uhr schichtdienstet, den Wagenschlag. Noch auf dem Parkplatz vor der Magdeburger Arbeitslosenbehörde wird der Zentrale per Funkspruch durchgegeben: „Alles in Ordnung, keine besonderen Vorkommnisse.“ Mann hat alles unter Kontrolle.

Galant und „vor allem sicher“ kutschieren sie ihre gefährdete Magdeburgerin durch die nächtlichen Straßen, vorbei an Baracken und einsamen Gewerbehöfen. Gerade das letzte Stück Weg von der Straßenbahnhaltestelle nach Hause ist der Mitfahrerin unangenehm. Doch das war auch schon zu DDR-Zeiten so. „Ich hatte auf dem Weg vor der Wende Angst und jetzt auch.“ Von den Opferschützern hörte sie zuerst übers Radio. Als sie dann noch ein Zettelchen bei McDonald's fand, wurde sie neugierig. Früher nahm sie öfter mal ein Taxi. Doch der Schutztrupp kommt billiger, acht Kilometer Fahrt kosten da nur sechs Mark. Und im Abo kommt's sogar noch günstiger.

Elf Minuten später hält der Wagen vor der Haustür der Schutzbedürftigen. Der vollschlanke Ex- Major greift zum CB-Funk. „Zentrale, bitte melden.“ Keine Antwort. Hektisch fummelt Peter Hock an den Knöpfen, doch vergeblich. Er gibt auf, der Kollege übernimmt. Hock ist derweil ausgestiegen und reißt die Wagentür auf. Drinnen müht sich Burkhard Strauß mit dem Funkgerät ab. Schließlich will die Zentrale informiert sein, daß alles gut gelaufen ist. „Ich war früher Polizist“, erklärt er nicht ohne Stolz.

Daß die Schutztruppe samt und sonders aus ehemaligen Polizisten, „Kriminalisten“, Offizieren der Nationalen Volksarmee oder Lehrern der Universität für Zivile Verteidigung besteht, hat für den 50jährigen Harry Lammert einen simplen Grund: „Wir wollten sportliche Leute. Und bei uns kommt da ja alles zusammen.“ Spielen etwa auch männliche DDR-Seilschaften eine Rolle? Immerhin sagen die gern genannten ehemaligen Berufsbezeichnungen nicht immer viel aus. Hinter so manchem „Kriminalisten“ oder einem dahingeschmetterten „Ich war Major“ versteckt sich nicht unbedingt die geradlinige Polizisten- oder NVA-Laufbahn. Mindestens vier der 16 Frauenbegleiter gehörten einst als hauptamtliche Mitarbeiter zur Magdeburger Stasi.

Siebzehntes Mitglied und einzige Frau der ABM-Truppe ist Ruth Lux. Die Mittfünfzigerin betätigt sich im „Innendienst“. Sie kümmert sich um Anfragen und Telefonate. Frauen als Begleiter gibt es nicht. „Na, das hängt mit der Arbeit zusammen“, erklärt Harry Lammert jovial, „ist ja auch zu verstehen, eine Frau, nachts unterwegs, wer macht das schon gern?“

Im Ladenlokal nahe der Innenstadt, wo üblicherweise „Beratungsgespräche für Menschen in allen Not- und Lebenslagen“ stattfinden, wirken die passionierten Opferschützer neben der zierlichen Ruth Lux eigentümlich deplaziert. Ihr Refugium, das männliche, befindet sich draußen, im Industriegebiet, zwischen Gewerbeflächen und einer Baustelle. Hier, in einer grünen Baracke hinter hohem Bretterzaun, liegt die Einsatzzentrale der Schutztruppe. Im Aufenthaltsraum steht ein Fernseher samt Video.

Ordentlich und korrekt geht es zu, ganz wie zuvor, als mann noch als Kripobeamter, Offizier oder bei der Stasi Dienst tat. Nur die Gehälter ähneln heute nicht mehr dem Salär zu DDR-Zeiten. Peinlichst genau werden Fahrtenbücher geführt, auf getrennten Listen notiert der diensthabende Schichtleiter Einsatzort und Vorbestellungen. Akkurate Bleistiftkürzel verraten dem Kenner, wer gerade Dienst tut.

Zweiundzwanzig Uhr, „Schichtwechsel“. Fünf graumelierte Herren in unauffällig- legerer Freizeitkleidung drängeln durch den schmalen Gang. Sieben Fahrten stehen für heute noch auf dem Programm. Insgesamt waren es 25. Am Tag zuvor sah's auch nicht umfangreicher aus. Zumal die Hälfte aller Touren am Tag stattfinden, im Rahmen des sozialen Service, wenn alte Menschen zum Arzt gefahren oder auch mal Kinder zur Sportstunde gebracht werden.

Ganz im Gegensatz zur Ausnutzung – der betriebene Aufwand: die High-Tech-Ausrüstung kann sich sehen lassen. Da wäre die Videoüberwachung des Hofs. Mit unverhohlener Begeisterung für alles was blinkt und piept wendet sich der Baracken-Chef dem Gerät zu. „Bei uns ist dreimal eingebrochen worden. Da haben wir dann diese Anlage installiert.“ Auf dem Bildschirm erscheint Ex-Major Peter Hock, einst Stasi-Kreisdienststelle Magdeburg, bei der Ausübung seiner ersten Amtshandlung: Gewissenhaft checkt er draußen den Dienstwagen durch. Mit professionellem Handgriff stellt der Schichtleiter drinnen den Bildschirm schärfer: „Schauen Sie, da kann man nun genau sehen, was auf dem Hof los ist.“ Immerhin gilt es ja, sechs Autos und drei Kleinbusse, auf Leasingbasis vom Arbeitsamt gekauft, zu schützen.

Im Ernstfall müssen sich die Familienväter mit blanker Muskelkraft begnügen. „Bewaffnet sind wir nicht“, betont Ex-Polizist Burkhard Strauß. „Wir machen ja nicht die Arbeit der Polizei.“ Auf einem Schrank ist dennoch CS- Gas deponiert. „Na ja, Gas schon. So zur Abwehr.“ Beim Frauenhaus bräuchte man so was schon. Die Ehemänner wüßten ja oft, wo ihre Frau arbeitet, lauerten ihr auf und bedrohten sie. „Dann sind wir da und passen auf, daß nichts passiert. Die Polizei macht so was ja nicht.“ Auch Peter Hornemann, ehemaliger Kriminalist, weiß vom Magdeburger Frauenhaus: „Schlimme Geschichten gibt's da. Das sind ja Frauen, die genug vom Leben gestraft sind. Da muß man einfach helfen.“

Während seine Kollegen sich per Dienstwagen und CB-Funk auf den Straßen Magdeburgs herumtreiben und Schichtarbeiterinnen oder Kioskverkäuferinnen nach Hause bringen, macht sich der 51jährige Peter Hornemann mit seinem gleichaltrigen Kollegen Werner Rehfeldt auf den Weg ins benachbarte Staßfurt. In der Kleinstadt wartet ein wichtiger Einsatzort: die Gemeindeturnhalle. Denn um Frauen auch ein wenig Selbstvertrauen in diesen harten Zeiten zu vermitteln, hat sich die Schutztruppe noch ein weiteres Aufgabenfeld gestellt: die Prävention. In Staßfurt führen die beiden Hilfssheriffs etwa 20 Frauen zehn Abende lang in die Kunst der Selbstverteidigung ein. Schon nach der dritten Übungsstunde fühlen sich alle „sicherer“.

Mit Aufwärmübungen und ersten Grundschlägen geht's los. „Den Ellbogenstüber ohne Kraft, nur mit Schwung“, ruft Ex-Kriminalist Hornemann in die Runde, und zehn Frauenpärchen mühen sich im angedeuteten Schlagabtausch. Knappe fünf Minuten läßt der dralle Werner Rehfeldt pro Übung gelten. Ellbogenstüber, Faustschlag, Fußtritt nach vorn, und anschließend sofort der Tritt aus der Hüfte mit der eleganten Drehung um 90 Grad. Im Ruckzuck-Verfahren einmal durch die Welt des Selbstschutzes.

„Herr Hornemann, kommen Se mal her!“ bellt es durch die Halle. „Nee, nee, das muß hier erst sitzen“, kläfft es zurück. Keine Minute später steht Hornemann in seinem 70er-Jahre-Trainingsanzug neben seinem Boß. Die nächste Schau-Demonstration beginnt: „Umklammerung von hinten“. Was ist zu tun? Zunächst mal, „den Gegner ablenken“. Und dann, im geeigneten Moment der gezielte Tritt auf dessen Fuß. „Fußstampfer heißt das Ding. Vor Schreck läßt der Angreifer Sie dann los.“ Sein Wort in des Täters Ohr.

„Na ja, wir sagen allen Frauen, daß wir hier nur Grundkenntnisse vermitteln“, meint Rehfeldt. „Eine Übung muß ja 700- bis 1.000mal wiederholt werden, bis der Körper sie automatisch macht. Bis das so'n Reflex ist.“ Gelernt hat der 51jährige zwei Jahre lang Judo und Kampfsport, „das gehörte zur jahrelangen Praxis als Kriminalist.“ Was meint er damit nur? Seine Zeit in der Stasi-Abteilung, wo er vor der Wende für die Postkontrolle zuständig war?

Zumindest den Befehlston – in leicht moderater Form – haben sich die beiden Herren bewahrt. Und auch die kleine Ruth Lux kann ihre Vergangenheit nicht leugnen: „Wir sind alle Wissenschaftskader, aber eingestellt sind wir als Sozialberater.“

Denn so einfach wie ein Taxibetrieb – Anruf genügt, Abholen garantiert – funktioniert die Schutztruppe nicht. Bevor eine Frau in Gewahrsam genommen wird, muß sie zunächst zum „Beratungsgespräch“. Eine Prozedur, die den Ost-Frauen wohl auch mit dem neuen Abtreibungsrecht ins Haus steht. Zumindest können sie da schon mal üben. „Viele Probleme lösen sich schon in so einem Gespräch“, meint denn auch Harry Lammert larmoyant. Und er wehrt sich vehement dagegen, seine Truppe sei letztlich ein billiges Taxiunternehmen.

Das Personal nämlich ist hochkarätig: Nur Hochschulabsolventen durften sich auf die ABM-Stellen bewerben. Das hat sich, so Lammert, in der Schutztruppenpraxis als äußerst sinnvoll erwiesen. „Klar, Pädagogik, Psychologie, das gehörte alles zu unserer Ausbildung. Menschenführung und so. Das kommt uns jetzt zugute.“ Fehlt nur noch der Zusatz: beim sensiblen Heimbegleiten.