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400 sektenähnliche Gruppen in Berlin

■ Der Jugendsenator und seine Sektenbeauftragte warnen vor neuen Heilsbewegungen und ihrem Drang nach Osten

Berlin. Sind Wahnsinnstaten wie der vom selbsternannten Jesus von Waco angeführte Massenselbstmord im aufgeklärten Stadtstaat Berlin undenkbar? Nein, befand gestern Jugend- und Familiensenator Thomas Krüger (SPD), sekundiert von seiner „Sektenbeauftragten“ Monika Schipmann. Allein in Berlin seien mehr als 400 sektenähnliche Gruppierungen mit Tausenden von Mitgliedern aktiv. Mit ihren totalitären Strukturen und ihrem Fanatismus seien viele eine Gefahr für die Demokratie. Manche hätten in Berlin gar neue Stützpunkte in ihrem Expansionsdrang gen Ostdeutschland und Osteuropa aufgeschlagen.

Die Chance, von hier aus Rekrutierungsfeldzüge unter unerfahrenen Ostlern unternehmen zu können, hätten beispielweise die Scientology Church und die Mun- Kirche schon weidlich genutzt, führte die Sektenbeauftragte Schipmann aus. Auch Psychogruppen wie das von dem früheren linken Guru Dieter Duhm beeinflußte „Projekt Meiga“, das freie Sexualität in „transformatischen Bordellen“ propagiert, hätten sich in Hauptstadtnähe angesiedelt – in Belzig südwestlich von Berlin. „Vieles aber“, vermutete Frau Schipmann, „wird wohl erst nach Jahren herauskommen“, zumal sich manche Gruppierungen den armen Gemeinden des Umlands als gemeinnützige freie Träger im Sozialbereich andienen würden. „Ich möchte nicht wissen“, ergänzte ihr Dienstherr, „wieviel Grundstücke die Treuhand schon an solche Gruppen verkauft hat.“ Als Beispiel nannte er einen Landverkauf an den Leiter des früheren Scientology-nahen Antidrogenvereins „Narkonon“.

Gerade die in Steglitz ansässigen Scientologen, bei denen schon an die 5.000 bis 10.000 BerlinerInnen Psychokurse absolviert haben, gelten mit ihren Unterwanderungsversuchen im Schlüsselbereich Wirtschaft als besonders gefährlich. Die Übernahme eines Berliner Stahlbaubetriebes durch ein Sektenmitglied scheiterte kürzlich nur knapp. Nunmehr, so Monika Schipmann, biete die Firma „U-MAN international“ Unternehmen Hilfe bei der Mitarbeiterauswahl an. Ihr „U-Test“ sei fast identisch mit dem „kostenlosen Persönlichkeitstest“, mit dem die Scientology Church neue Mitglieder zu ködern versuche. Der Trick dabei: „Der Test geht immer negativ aus“, den Menschen wird suggeriert, sie hätten Hilfe nötig.

Nicht weniger gefährlich, weil nämlich mit der rechtsextremen Szene verflochten, seien die „neuheidnischen Gruppen“ wie die „Heidnische Gemeinschaft“ oder die „Söhne der Asen“ im Umfeld von Neonazi Arnulf Priem. Personelle Überschneidungen gebe es außerdem mit dem satanischen „Thelema-Orden“, dessen Führer wegen Vergewaltigung und Körperverletzung im Knast sitzt.

Senator Krüger forderte deshalb eine verstärkte Beobachtung dieser Gruppierungen durch den Verfassungsschutz. Auch die von Psychogruppen wie dem Verein beziehungsweise der Gesellschaft zur Förderung der psychologischen Menschenkenntnis ausgehenden Gefahren müßte dieser genauer in den Blick nehmen: „Hier bedarf es der methodischen Know- how-Erweiterung.“ Krüger spielte damit auf eine Expertise des Berliner Landesamtes an, die nach den taz-Berichten über den Regierungsdirektor und GFPM-Vorständler, Wilhelm Spatz, erstellt worden war. Die grauen Herren hatten die GFPM bei ihren Recherchen lediglich dahingehend untersucht, ob Kontakte zur rechtsextremen Szene feststellbar seien. Die Existenz solcher Kontakte aber hatte auch kein Insider erwartet. Ute Scheub

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