: Wechselgefühle in der bayerischen SPD
■ Renate Schmidt als Vorsitzende bestätigt / Siegeszuversicht für 1994 / Absage an Beteiligung bei UNO-Kampfeinsätzen
Nürnberg (taz) – „Wir packen's, ich weiß es ganz genau.“ Renate Schmidt, bayerische Landesvorsitzende der SPD, setzt auf Sieg. Sie will nach 36jähriger Alleinherrschaft der CSU den Ministerpräsidentensessel im Freistaat für die Sozialdemokraten erobern. Dabei steht die Partei geschlossen hinter ihr. 88,3 Prozent der Delegierten des 43. Landesparteitags der Sozialdemokraten in Nürnberg bestätigten sie in ihrem Amt als Landesvorsitzende.
Vor zwei Jahren erhielt die 49jährige noch knapp 94 Prozent. Der insbesondere von den Jungsozialisten prophezeite Denkzettel wegen Schmidts eiligen Umschwenkens auf die Linie des SPD- Bundesvorstands und damit auf eine Änderung des Asylgrundgesetzartikels im vergangenen Oktober fiel damit denkbar gering aus. Damals hatten 60 Prozent der Delegierten ihrer Spitzenkandidatin die Gefolgschaft verweigert.
Nach ihrer Grundsatzrede waren nicht nur die Jusos hoch zufrieden. Stehende Ovationen erhielt die Bundestagsvizepräsidentin Schmidt für ihre Begründung, warum es gerade in Bayern „Zeit für den Wechsel“ sei. Es gehe nicht bloß um „das kosmetische Auswechseln eines diskreditierten Ministerpräsidenten“. Es sei vielmehr Zeit, „daß das Volk die ganze Amigo-Regentenschar zur Regeneration auf die Haziendas schickt – auf eigene Kosten“. Den von Skandalen erschütterten bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl bezeichnete sie als „größten Hoffnungsträger“, da „alle hoffen, daß er nun endlich geht“.
„Es ist Zeit für den Wechsel“ – ein gewagtes Parteitagsmotto für die bayerische SPD, die bei den letzten Landtagswahlen 1990 mit 26,0 Prozent ihr schlechtestes Wahlergebnis der Nachkriegszeit erzielt hatte. Im letzten Jahr verlor die SPD 4.600 Mitglieder, nach neuesten Umfragen in der Landeshauptstadt München dümpelt sie derzeit bei 30 Prozent (Kommunalwahl 1990: 42,0 Prozent). Trotzdem verbreitet Renate Schmidt Siegeszuversicht. „Der Wechsel ist auch möglich“, hämmert sie den Delegierten immer wieder ein. Sie will, daß die SPD in Bayern sich als „linke Volkspartei“ profiliert. Dazu gehört nicht nur die Forderung nach einem „ökologischen Umbau der Industriegesellschaft“, sondern auch der von Münchens Oberbürgermeister Georg Kronawitter vehement geforderte Lastenausgleich. Die Besteuerung der Vermögen der Millionäre mit dem Verkehrswert sowie die Arbeitsmarktabgabe für Beamte und Selbständige sollen zur Finanzierung der Kosten der deutschen Einheit und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit herangezogen werden.
Insbesondere der kränkelnden bayerischen Wirtschaft will sich die SPD zukünftig annehmen. Das lange Jahre als ökonomisches Musterland geltende Bayern stehe „vor der größten Beschäftigungs- und Strukturkrise der Nachkriegszeit“, konstatiert die entsprechende Arbeitsgruppe des Landesvorstands – und diese Krise sei „hausgemacht“. Die wachstumsschwächsten Branchen wie Automobil- oder Luft- und Raumfahrtindustrie seien in Bayern absolut strukturbestimmend, die wachstumsstärksten Branchen wie etwa die Entsorgungstechnologie fehlten am Standort Bayern aber weitgehend, argumentierte Renate Schmidt, um der bayerischen Staatsregierung vorzuwerfen, sie verschlafe die Zukunft.
Ebenso wie Renate Schmidt sprach sich auch der stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Oskar Lafontaine als Gastredner eindeutig gegen eine Beteiligung der Bundeswehr an Kampfeinsätzen der UNO aus. Der saarländische Ministerpräsident forderte seine Partei auf, das Thema der Neuorganisation der Arbeit in das Zentrum der politischen Auseinandersetzung zu rücken. Er plädierte uneingeschränkt für eine Verkürzung der täglichen Erwerbsarbeitszeit. Es gehe „nicht nur um eine ökonomische oder soziale Frage, sondern um den Bestand unserer Demokratie überhaupt“. Bernd Siegler
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