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Genehmigung im Handumdrehen?

■ Deutschlands Genklempner, die viel mehr könnten, wenn man sie nur ließe, und deutsche Chemieriesen, die die Angst plagt, den profitablen Zug zu verpassen, können die Novellierung des Gentechnikgesetzes kaum...

Genehmigung im Handumdrehen?

Gentechnisch aufgepeppt und deshalb resistent gegen Krankheiten und Herbizide sollen nach den Vorstellungen der Gentechniker Zuckerrüben, Kartoffeln, Mais und Raps zur neuen Generation von Nutzpflanzen werden. Erste Freilandversuche mit den gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln der Zukunft sind vorletzte Woche vom Bundesgesundheitsamt genehmigt worden. Zeitgleich unternimmt die Frankfurter Hoechst AG Anstrengungen, mit Hilfe der Gentechnik die gewerbliche Herstellung von Humaninsulin in Deutschland zu etablieren (siehe Artikel unten).

Daß die Gentechniker in Deutschland noch viel mehr Projekte in Angriff nehmen könnten, wenn man sie nur ließe, wurde am Montag vergangener Woche auf einer Pressekonferenz des Bundes der Pharmazeutischen Industrie in Wiesbaden mit dem Titel „Verpaßt Deutschland die Gentechnik?“ klar. Am Rande des von der Pharmaindustrie veranstalteten Internistenkongresses jammerten hier Pharmakologen und Chemiker, daß nur in Europa ein „Katastrophenszenario“ für die neue Biotechnologie entworfen worden sei. Dr. Brauer, Mitarbeiter der Hoechst AG, ist der Überzeugung, daß der Wert der Gentechnik für die biologische und medizinische Grundlagenforschung nicht hoch genug eingeschätzt werden könne. Im Kampf „gegen die Ignoranz“ sieht er sich in erlauchter Gesellschaft: Auch Galilei sei mit seinem Wissen, daß die Erde sich um die Sonne drehe, von der Inquisition zum Schweigen verurteilt worden. „Um den bereits angerichteten Schaden zu begrenzen, ist zu hoffen, daß der Streit über Gentechnik zwischen Bund, Ländern, Geistes- und Naturwissenschaft endlich versachlicht und differenziert geführt wird und daß vor allem nicht 350 Jahre benötigt werden, um ihn zu beenden.“

Angesichts des ungebremsten Forscherdranges und der Angst deutscher Chemieriesen, im Bereich der Gentechnik auf dem Weltmarkt weiterhin eine untergeordnete Rolle zu spielen, wird die angestrebte Novellierung des Gentechnikgesetzes von der chemischen Industrie begrüßt. Sie hofft auf den am 15. Febuar 1993 veröffentlichten Referentenentwurf zum „Ersten Gesetz zur Änderung des Gentechnikgesetzes“. Sollte dieser als Grundlage für das überarbeitete Gentechnikgesetz dienen, werden Anmeldungs- und Genehmigungsverfahren in den unteren Sicherheitsstufen vereinfacht. Fristen sollen gestrichen oder verkürzt werden. Außerdem kann die Industrie mit der Errichtung von Anlagen schon beginnen, wenn mit einem positivem Bescheid der Behörde gerechnet werden kann. Und schließlich sollte nach Meinung der chemischen Industrie eine zentrale Anhörung in Zukunft genügen, um an mehreren Orten mit den gleichen Organismen Freisetzungsversuche durchzuführen. Das im Gesetzentwurf noch enthaltene einsehbare Register für alle Genehmigungen der Sicherheitsstufen 2 bis 4 lehnt die Pharmabranche dagegen schärfstens ab – aus Angst vor Wettbewerbsnachteilen und „Diebstahl von geistigem Eigentum“ soll die Öffentlichkeit besser außen vor bleiben.

Noch blickt die Chemie- und Pharmaindustrie Deutschlands sehnsüchtig in Richtung USA. Laut Dr. Schlumberger von der Bayer AG in Wuppertal gilt die Gentechnik im Land der unbegrenzten Möglichkeiten „als wichtige Zukunftstechnologie mit großer wirtschaftlicher Bedeutung“. 4,03 Milliarden Dollar stünden dort 1993 zur Finanzierung der Biotechnologie zur Verfügung. Auch gebe es in den USA keine spezifischen Gesetze, denen gentechnisch veränderte Organismen und deren Produkte unterworfen seien. Innovation werde dort eben großgeschrieben, und nur wenige bürokratische Hürden stünden einer zukunftsorientierten Forschung im Wege.

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