: Brutaler Jargon
■ betr.: "Liquidierung geplant" (Sicherheitsbehörden der DDR wollten Regimekritiker "ausschalten"), taz vom 23.4.93
betr.: „Liquidierung geplant“ (Sicherheitsbehörden der DDR wollten Regimekritiker „ausschalten“), taz vom 23.4.93
Im Zusammenhang mit dem Prozeß gegen Modrow in Dresden sind vom ARD-Magazin „Panorama“ jetzt Dokumente veröffentlicht worden, denen zufolge führende Regimegegner in der DDR systematisch „ausgeschaltet“, „liquidiert“ werden sollten. Das klingt martialisch und wird von den meisten wohl zu Recht als geplante physische Vernichtung/ Tötung gedeutet, aber man sollte den bei der Stasi üblichen brutalen Jargon nicht automatisch mit dem Sinngehalt füllen, den solche Begriffe im allgemeinen Sprachgebrauch haben. In einer meiner Stasi-Akten habe ich zum Beispiel eine Konzeption der Stasi-Kreisdienststelle Dresden-Stadt für die „Bearbeitung einer oppositionellen Gruppe gefunden, in der die Überschriften so heißen: 1. Zurückdrängung/Zersetzung, 2. Zerschlagung und 3. Liquidierung.
Konkret sind dann aber unter „Liquidierung“ eben nicht Mordpläne aufgelistet, sondern es geht zum Beispiel um die mögliche Einleitung von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren oder um den Versuch, über leitende kirchliche Stellen Einfluß auf die Arbeit der Gruppe zu nehmen mit dem Ziel, ihre weitere Aktivität zurückzudrängen (nicht also, Personen gezielt zu vernichten!).
Diese Darlegung soll nicht als Parteinahme für Herrn Modrow oder gar als Verharmlosung der bösen Praktiken der Stasi verstanden werden, aber zur Vorsicht mahnen bei der Deutung von Stasi- und anderen Akten. Joachim Krause, Schönberg
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