Die dritte Spielhälfte

■ FC St. Pauli: 0:1-Heimschlappe gegen den Chemnitzer FC / Nie mehr Zweite Liga?

0:1-Heimschlappe gegen den Chemnitzer FC / Nie mehr Zweite Liga?

Ein Spiel dauert 90 Minuten und hat zwei Halbzeiten. Nach verlorenem Spiel gehen die Fans nach Hause, verfluchen den Trainer, die Mannschaft und auch häufig den Schiedsrichter. Eherne Gesetze des Fußball, die im Wilhelm–Koch-Stadion unterdes keine Gültigkeit mehr haben.

Nach der 0:1-Heimschlappe der Kiezkicker gegen den Chemnitzer FC war wieder mal alles etwas anders. Etwa 500 Fans verblieben in der Gegengerade und forderten frenetisch, das die Spieler des FC St. Pauli noch einmal das Grün betreten. „Seppo hol die Spielre raus, dudei, dudei“, wurde skandiert, als der Übungsleiter der recht erfolglosen Zweitligaequipe mit gesenktem Kopf zur Pressekonferenz schritt. Es half nichts, kein einheimischer Akteur erschien zum eigentlich obligaten Auslaufen nach dem Spiel. Statt dessen wurden die Spieler aus der Stadt bejubelt, die in DDR-Zeiten nach Karl Marx benannt war. „FC Karl Marx Stadt, lalalalalalala“, schallte es zwischenzeitlich am Millerntor. Etwa 40 Minuten weigerten sich die Hardcore- Anhänger des Kiezclubs ihr Domizil zu verlassen, die Spieler wurden zu einer dritten Halbzeit gefordert, zu weiteren 45 Minuten. Als ihre Lieblinge dann nicht zu ihnen kamen, zog es die Fans ins allerheiligste eines Fußballvereins, in den Kabinenbereich. Ein Geburtstagsständchen für Leonardo Manzi, der am Mittwoch seinen 24. Geburstag beging, wurde vorgetragen und der bereits schon im Spiel eingesetzte neue Schlachtruf skandiert. „Nie mehr zweite Liga, nie mehr, nie mehr.“

„Es ist schlimm für uns, diese Fans zu entäuschen“, räumte St. Pauli-Keeper Klaus Thomforde sichtlich geknickt ein, als er trotz der Belagerung durch die eigenen Anhänger die sichere Kabine verließ. „Es treibt einem fast die Tränen in die Augen, wenn man das hier gesehen hat und überlegt, daß diese Mannschaft absteigen kann“, äußerte sich der Trainer des Chemnitzer FC, Hans Meyer, zu den Vorfällen, fast so, als wenn er jemandem den Stuhl unter dem Hintern weggezogen hat, und es ihm leid tut, daß sich derjenige dadurch verletzt hat. So richtiges Naß in die Augen trieb es dann auch noch dem derzeitigen Fan-Liebling Martino Gatti („Matti Bugatti). Minutenlang verharrte der Mittelfeldspieler, der auch gegen Chemnitz wieder einer der stärksten Akteure seiner Mannschaft war, an der Mittellinie. Wohl sinnierend, wie das Spiel ausgegangen wäre, wenn er Mitte der ersten Halbzeit nicht die Latte sondern das Tor getroffen hätte. Den entscheidenden Treffer, den erzielten die Chemnitzer in der 87. Minute.

Einen Platz ist der FC St. Pauli noch von einem Abstiegsrang entfernt, Hoffnung auf einen Verbleib im offiziell gut bezahlten Fußball besteht also noch, auch wenn die Fanreaktionen fast wie im Sommer 1991 waren, als der Kiezclub sich aus der Bundesliga verabschieden mußte. Aber noch sind acht Spiele zu absolvieren, acht Möglichkeiten, die von Seppo Eichkorn errechneten 10 Punkte für den Klassenerhalt zu erkämpfen. Kai Rehländer