■ Engholm taugt nicht zum Sündenbock – auch wenn er geht
: Die Krise der SPD ist die Krise der SPD

Kein Licht am Ende des Tunnels. Weder ein Rücktritt Björn Engholms noch der Versuch, ihn zu halten, versprechen das Ende der sozialdemokratischen Misere. Erzwungene Kandidatenkür oder der Wille, es mit Engholm durchzustehen, beide Varianten zementieren gleichermaßen das Erscheinungsbild einer Partei, die sich weiter mit interner Krisenbewältigung verausgabt. Daß sich am Ende vielleicht nicht einmal die Entscheidung zwischen den tristen Alternativen stellt, weil der SPD-Vorsitzende und Kanzlerkandidat nur um den Preis fortlaufender Demontage zu halten wäre, macht die unerfreuliche Situation komplett.

Die Falschaussage vor dem Kieler Untersuchungsausschuß ist zweifellos nur der Anlaß der verschärften Personaldebatte in der SPD. Engholms Autoritätsverfall ist weit gediehen. Doch weil es keine fairen Modalitäten gibt, den politisch wünschenswerten Wechsel an der Spitze einer Partei durchzusetzen, kommt ein Skandal schon recht. Dann reicht auch ein Skandälchen. Daß Engholm ein paar Tage früher als die Öffentlichkeit über die kriminellen Methoden seines Kieler Vorgängers informiert wurde, ist für die Beurteilung der Barschel-Affaire ohne Belang. Warum er in diesem Punkt nicht die Wahrheit sagte, bleibt unerfindlich, der Profit jedenfalls dürfte nicht sonderlich groß gewesen sein. Zum Täter läßt er sich damit schwerlich uminterpretieren. Vielmehr zeigt sich, daß bei einem, der seine fulminante Karriere den Machenschaften eines Dunkelmannes verdankt, rigidere Maßstäbe angelegt werden. Wer dem Bedürfnis nach integrer Politik einmal als Projektionsfläche diente, kippt, wenn Wunschbild und Wirklichkeit auseinandertreten. Das kommt fast zwangsläufig. Darin liegt die Hypothek eines solchen Aufstiegs.

Fairer jedenfalls, als Engholms Fehltritt so weit aufzublähen, daß er zur Begründung eines Rücktrittes dienen könnte, wäre es, über die politischen Gründe zu reden, die ihn an den Rand der Resignation getrieben haben. Björn Engholms Bilanz nach knapp zwei Jahren ist denkbar schlecht. Doch Vorsicht müßte geboten sein, wo sich der drohende Konkurs derart schlüssig personalisieren läßt, wie im Falle des SPD- Vorsitzenden. Klar, Engholm ist zögerlich, kein „Vollblutpolitiker“; eher wirkt er wie einer, der eine Rolle auszufüllen hat, die ihm nicht auf den Leib geschrieben ist. Doch genau damit erscheint er eher als Repräsentant seiner Partei denn als Verursacher ihrer aktuellen Krise. Er hat den Aufbruch, den er bei seiner Wahl in Bremen versprochen hat, nicht geschafft, den Niedergang nicht aufgehalten; doch wenn Engholm sein Amt abgibt, ist die Frage nach der Zukunft der SPD damit kaum schon beantwortet. Risikolos prognostizieren läßt sich hingegen, daß der Sündenbockeffekt nicht lange vorhalten wird.

Engholm ist an seiner Unentschlossenheit gescheitert. Er hat das Maß an Durchsetzungsfähigkeit unterschätzt, das notwendig ist, die SPD so weit zu verändern, daß sie in einer veränderten Realität nicht nur Schritt halten, sondern politisch Einfluß nehmen kann. Anders gesagt: Er hat die Unbeweglichkeit der SPD unterschätzt. Er hat dort auf „Kommunikation“ gesetzt, wo die Partei nur die Sprache der Zuchtmeister versteht: beim Abschied von Liebgewonnenem. Den Zuchtmeister kann Engholm schwerlich mimen, aber die Ahnung, daß sich der SPD-eigene Hang zu prinzipiengesteuerter Politik nicht länger durchhalten läßt, die kann man ihm kaum absprechen. Dafür steht seine Petersberger Wende. Daß die im Fiasko endete, ist kaum allein dem anzulasten, der sie initiierte; vielmehr wird an der Genese des „Asylkompromisses“ ein SPD-notorischer Mechanismus des Scheiterns deutlich: erst werden die Prinzipien hochgehalten und die Tabus – notfalls auch gegen die Realität – verteidigt; wenn die Defensive hoffnungslos wird, folgt die zwangsläufig spektakuläre Kurskorrektur, die dann so zermürbend ausfällt, daß für die eigentlichen Verhandlungen nichts mehr bleibt. Die interne Kurskorrektur gerät zum Politikersatz. Zwischen Prinzipienfestigkeit und bedingungsloser Übergabe schwindet der Raum, in dem die SPD Politik betreiben könnte. Ihr fehlen Offenheit, Pragmatismus und die Durchlässigkeit ihrer Ideale für die Realität – bevor die Realität als letzte Reaktionsvariante nur noch die Prinzipienlosigkeit zuläßt. Wehner oder Schmidt konnten diese Defizite kompensieren. Aber eine SPD der 90er, geführt mit dem autoritären Stil der 60er und 70er? Nein, die Krise der SPD ist die Krise der SPD, ein Deus ex machina nicht im Angebot.

– Also, wer macht's? – Schon daß sich beim Nachdenken über die personellen Alternativen der Nebel überm „Wie weiter mit der SPD“ kaum lichtet, stimmt skeptisch. Eine sichere Alternative zum bloßen Verschleiß eines weiteren Kandidaten ist nicht in Sicht. Für Schröder spricht nichts, als daß er es will. Ein Machtpolitiker, dessen Rolle im Asylkompromiß weit weniger schmeichelhaft ausfiel als die des Vorsitzenden. Für den noch immer eher blassen Scharping spricht nicht viel mehr, als daß er uns Schröder ersparen könnte. Dann schon lieber Lafontaine. Der hat den Tiefpunkt bereits hinter sich und den Fehler seines Rückzugs nach der verlorenen Bundestagswahl eingesehen. Ihm wäre am ehesten zuzutrauen, den Mut für eine offene SPD-Politik mit der notwendigen Durchsetzungsfähigkeit innerhalb und außerhalb der Partei zu verbinden. Rotlicht? – Ach was! Ampel hieße mit Lafontaine die Devise. Matthias Geis