: Seine Spione waren überall
■ Der lange Weg des Markus Wolf: „Hat mein Leben einen Sinn gehabt?“
Denk ich an die Genossen
an der unsichtbaren Front
die zu handeln sich entschlossen,
daß der Frieden bei uns wohnt.
Die Alleinsein überwinden
und irgendwo im fremden Land
Wege suchen und auch finden,
daß sie Faust bleibt - unsre Hand.
Düsseldorf (taz) – Generaloberst Markus Wolf sprach ruhig, streng und doch voller Verständnis. Die glückliche Heimkehr, das heißt der Austausch des verdienten Kundschafters, war am Vorabend des 32. Jahrestages der DDR gemeinsam mit dem Minister Erich Mielke gerade gebührlich gefeiert worden. Doch anschließend, bei einer internen Auswertungssitzung, wurde „Mischa“ Wolf deutlich: „Du hast es inzwischen begriffen. Dein Auftritt damals, am Morgen des 24. April 1974 – das kann unmöglich für andere eine Anleitung zum Handeln sein. Er hat dem Gegner aus der Beweisnot geholfen... Anspruch auf Wahrheit haben die eigenen Genossen, nicht unsere Gegner!“ So hat es der Gescholtene in seiner Biographie festgehalten. Damals, das war die spektakuläre Enttarnung des Kanzleramtsspions Günter Guillaume und in der Folge der Rücktritt der Rücktritt Willy Brandts. Die unmögliche Anleitung, das war das Bekenntnis des Topagenten Guillaume, das er bei seiner Verhaftung in der Bonner Wohnung abgab: „Ich bin Bürger der DDR und ihr Offizier – bitte respektieren sie das.“
Günter Guillaume wurde wegen Landesverrates vom 4. Strafsenat des Düsseldorfer Oberlandesgerichtes zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren, seine Ehefrau Christel zu einem achtjährigen Freiheitsentzug verurteilt. Die Ehefrau Christel kam 1980, Günter Guillaume ein Jahr später via Agentenaustausch in die DDR zurück.
Die Zeiten haben sich grundlegend gewandelt: Seit gestern wird vor demselben Strafsenat im selben Saal A 01 des Oberlandesgerichtes in Düsseldorf jetzt Markus Wolf selbst der Prozeß gemacht. Der 70jährige, der fast die Hälfte seines Lebens den Auslandsspionagedienst der DDR lenkte, muß sich nach dem Ende der DDR wegen Landesverrats in Tateinheit mit Bestechung verantworten.
Seine Spione waren überall: Günter Guillaume im Kanzleramt, Alfred Spuhler im Bundesnachrichtendienst – der Beamte Klaus Kuron in der Spionageabwehr des Kölner Verfassungsschutzes. Das sind die spektakulären Fälle, die Generalbundesanwalt Alexander von Stahl dem einstigen DDR- Spionagechef in der fast 300seitigen Anklageschrift anlastet. Dazu kommen auch zahlreiche Sekretärinnen in den verschiedenen Bundesbehörden, die für Wolf gearbeitet haben sollen. Wolf selbst, so die Bundesanwälte, habe Agenten bei persönlichen Führungstreffs Instruktionen erteilt und insbesondere über ihre angestrebte Plazierung im Bereich der Bundesregierung entschieden. Das soll er nun büßen.
Markus Wolf hat vor und nach der Wende in der DDR einen langen Weg hinter sich: vom hochdekorierten Spionagechef, der 1986 angeblich auf eigenen Wunsch und mit einer „Ehrenpension als Kämpfer gegen den Faschismus“ ausgestattet, seinen Posten als Leiter der „Hauptverwaltung Aufklärung“ (HVA) verließ, bis zum Beschuldigten im Düsseldorfer Prozeß. Die Ehrenpension ist hinfällig – nach der deutschen Einheit erhält Wolf, wie das Gros seiner Mitarbeiter, nur eine de-facto-Mindestrente von gerade einmal knapp 800 Mark. Mögliche andere Einkünfte nicht mitgerechnet.
Als Mitte der 80er Jahre in Moskau Präsident Gorbatschow Glasnost und Perestroika ausrief, sahen viele in Wolf den Hoffnungsträger für die Reformwilligen in der DDR. Einige wenige der früheren Weggefährten aus der HVA ziehen heute indessen den Mythos Wolf (nach dem etwa John le Carré die berühmt gewordene Geheimdienstfigur „Karla“ in seinem Roman „Der Spion, der aus der Kälte kam“ formte) gründlich in Zweifel. Noch heute, rügen sie, rücke er nicht ab von jenem übergeordneten Auftrag für seine DDR-Spione, wonach seine Agenten zur „rechtzeitigen Aufdeckung gefährlicher Überraschungen für die DDR“ beitragen sollten – und das, obwohl er am Ende die wirklich entscheidende Überraschung, daß das Volk der Führung einfach die Gefolgschaft verweigerte, nicht einmal kommen sah. Bei Wolf, so die HVA-Dissidenten, hätten sich Sendungsbewußtsein mit Eitelkeit und Leidenschaft vermischt, „diese Melange hat wohl schon oft seine Entscheidungen beeinflußt, nicht immer zum besten für ihn selbst und die Sache, die er vertrat“.
Gesucht wurde der Herr über die ostdeutschen Spione mit Haftbefehl des Bundesgerichtshofes vom 20. Juni 1989. Wolf, der bis Ende 1986 ein Heer von 1.200 HVA-Mitarbeitern und zwischen drei- und fünftausend Agenten in der Bundesrepublik befehligte, sollte ursprünglich, wie sein Nachfolger Werner Großmann, am Tag der deutschen Einheit festgenommen werden. Während Großmann am 3. Oktober 1990 den Fahndern des Bundeskriminalamtes ins Netz ging, entzog sich Wolf durch seine Flucht nach Moskau. Schuldig im Sinne der Karlsruher Anklage fühlte er sich damals sowenig wie heute. Von seinem Moskauer Exil aus wies er mehrfach die Forderung, als Landesverräter vor Gericht gestellt zu werden, als politische Heuchelei zurück. Es gebe „keine Paraphe unter irgend etwas, dessen ich mich zu schämen brauche“. Die Flucht begründete er damit, daß er „nicht die Absicht habe, den Rummel um meine Verhaftung mitzumachen“. Ein Jahr später kehrte er nach einem vergeblichen Asylantrag in Österreich nach Deutschland zurück. Nach elf Tagen Untersuchungshaft kam er gegen Auflagen frei.
Heute steht der im schwäbischen Hechingen geborene Wolf vor den Trümmern seines Lebens: die Mitarbeiter angeklagt, die angeleiteten Spione in Haft — die DDR trotz aller „Aufklärungserfolge“ von der Landkarte verschwunden. Wolf versucht sich seither verstärkt als Autor. In seinem nach der Wende erschienenen Buch „In eigenem Auftrag“ resümiert er: „Oftmals bin ich im zurückliegenden Jahr gefragt worden und habe mich selbst befragt, ob mein Leben einen Sinn gehabt hat. Der Rückblick ist bitter.“ Der Prozeß auch.
Wolfgang Gast
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