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Der Kandidat hat (zuviel) Biß

Schröder drängelt mächtig, doch vielleicht allzu naseweis an die SPD-Spitze / Ist er nicht stark, sondern nur halbstark? / Vater Johannes mahnt zu „ruhiger Gelassenheit“  ■ Aus Bonn Tissy Bruns

Der Kandidat drängelt mächtig. Gerhard Schröder, der meistgenannte aus der Riege der potentiellen Engholm-Erben, hatte sich am Nachmittag nicht nur Freundlichkeiten anhören müssen. Am Abend aber hatte er die Schelte seiner Präsidiumskollegen schon wieder abgeschüttelt. Der Chef der rot-grünen Koalition in Niedersachsen verkündete am Tag des Engholm-Rücktritts im ARD- Brennpunkt dem großen Publikum seine Ansprüche auf Sozialdemokraten-Vorsitz und Kanzlerkandidatur: „Es macht Sinn, wenn man Kohl ablösen will – und das will ich –, beide Ämter in einer Hand zu lassen.“ Aber immerhin: das sei „kein Dogma“.

Es könnte sein, daß Gerhard Schröder seine Chancen überschätzt. Wenn jemand gar zu naseweis mit seinen Ambitionen hausieren geht, dann gilt das in der SPD als schlechtes Benehmen, das gerügt werden muß. Sicher: das legt sich meistens schnell. Aber bei vielen in der SPD löst die Vorstellung, Schröder die beiden vakanten Posten anzuvertrauen, auch tiefere Vorbehalte aus. Zwei Seelen streiten in der Brust so manches Genossen: der Wunsch, nach dem zaudernden Engholm schnell einen tatkräftigen Mann an der Spitze zu sehen, liegt im Hader mit der diffusen Furcht, der unwürdige Verschleiß der Enkel könnte sich – nach den Fällen Lafontaine und Engholm – noch einmal wiederholen.

Denn auch Schröder wäre nicht der unumstrittene Erste in der SPD. Gerade das, was ihn als Engholm-Nachfolger attraktiv macht – der politische Biß, der Wille, die Dinge in die Hand zu nehmen – würde mit einiger Sicherheit auch die Fortsetzung der Hahnenkämpfe in der SPD provozieren. Oskar Lafontaine, der still in Saarbrücken sitzt, soll Schröder bescheinigt haben, er sei nicht stark, sondern halbstark. Er ist nicht der einzige in der vielstimmigen Partei, der sich dem Macher aus Niedersachsen ungern fügen würde.

Wer ist eigentlich für Schröder? Am Tag nach dem Engholm- Rücktritt – noch verbietet die Pietät so manches – findet sich nur einer, der aus ganzem Herzen öffentlich ja sagt, nämlich der ausgewiesene Parteirechte Hermann Rappe. Der mächtige IG-Chemie- Chef und Bundestagsabgeordnete aus Hildesheim findet, daß Zauderer nicht gefragt seien. „In dieser schwierigen Lage wird einer gebraucht, der nicht in die Schlacht getragen werden muß, einer, der anpackt und der nach vorne zeigt.“ Die Sympathien, die Schröder als kämpferischer Verfechter von rot- grün in den linken Abteilungen der Partei genießt, werden sehr viel verhaltener artikuliert. Wie Schröder plädieren die Sprecher der parlamentarischen Linken für eine schnelle Entscheidung. Sie wollen den für den November geplanten Parteitag vor die Sommerpause ziehen. „Zur personellen Erneuerung“, meinen Christel Hanewinckel, Detlev von Larcher und Horst Peter im übrigen „gehört die Möglichkeit konkurrierender Kandidaturen.“ Daß die Bewerbung Heidi Wieczorek-Zeuls um den Parteivorsitz hier ebenso gern gesehen wird wie bei den Jusos und den SPD-Frauen, ändert zwar nichts daran, daß Wieczorek-Zeul (wie Renate Schmidt) nur die Chancen der Außenseiterin hat. Aber daß Schröder vielleicht zuviel von dem hat, was Engholm fehlte (nämlich Ellenbogen), drückt sich in den Hoffnungen auf die Spitzenfrauen schon aus. Übrigens erwartet kaum eine Frau, daß einer der genannten Nachfolger Engholm in der Frauenfrage das Wasser reichen kann.

Wie Rudolf Scharping dazu steht, ist nicht das einzige, was über ihn noch unbekannt ist. Scharping will wie Konkurrent Schröder eine schnelle Entscheidung. Aber der rheinland-pfälzische Bewerber hält sich mit seinen Ambitionen vornehm zurück. Er wird registrieren, daß Schröders Drängen nicht viel Gegenliebe findet: Moderator Johannes Rau, der sich mit Äußerungen über Personen strikt zurückhält, hatte schon in seiner ersten Erklärung „die Stabilität der SPD“ über den Wert jeder Schlagzeile gestellt. Mit „ruhiger Gelassenheit“ solle die SPD nun „die Personen auswählen, die die Führung sein sollen.“ Rau hat vermutlich nicht ohne Absicht im Plural geredet.

Daß Parteivorsitz und Kandidatur bei zwei Personen liegen könnten, entspräche nicht nur den realen innerparteilichen Verhältnissen. Denn keiner der in Frage kommenden Kandidaten hat sich bisher als der ausgewiesen, der auch im Verständnis der anderen der anerkannte Parteichef ist. Die SPD entzöge sich damit auch dem Zwang, eine schnelle und zugleich dauerhafte Entscheidung zu treffen. Es geht eben nicht nur um die Entscheidung über den besten Kohl-Herausforderer im Jahr 1994.

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