: Zeitmaschine im Klassenzimmer
■ Ausstellung in Neukölln macht die Geschichte der Reformschule im 20. Jahrhundert erfahrbar / Zeitreise im verwandelbaren Klassenzimmer / Bei der Einrichtung von Gesamtschulen ist der Bezirk Vorreiter
Berlin. Die Decke hebt sich, die Wände verschwinden, helles Licht durchflutet den Raum, und im Nu sind in einer Minute zehn Jahre vergangen. Möglich wird das Erlebnis durch eine Zeitmaschine, die von Studenten der Veranstaltungs- und Theatertechnik der Technischen Fachhochschule (TFH) geschaffen wurde. Sie ist Bestandteil der Ausstellung „Die ideale Schule“ im Heimatmuseum Neukölln. Im „verwandelbaren Schulzimmer“ hängt am Anfang noch das miefige, enge Ambiente einer Obrigkeitsschule kurz nach dem Ersten Weltkrieg, mit Frontalunterricht und Kaiser-Wilhelm- Konterfei an der Wand. Kurze Zeit später führen zwei Studenten der Theaterpädagogik der TU den Zuschauer in eine Reformschule am Ende der Weimarer Zeit.
Die Ausstellung, die vom Heimatmuseum unter Mithilfe der TFH Berlin, des Bezirksamtes Neukölln und eines „Arbeitskreises Schulgeschichte“ in zweijähriger Vorarbeit entstand, stellt Reformschulen in drei Phasen dieses Jahrhunderts dar. Gerade in diesem Arbeiterviertel sei immer wieder versucht worden, Schule zu demokratisieren, erläuterte Wolfgang Schimmang, Neuköllner Stadtrat für Volksbildung. Schon in der Weimarer Republik wurden Begriffe wie Schülerselbstverwaltung, Koedukation sowie Arbeitsgemeinschaften in die Tat umgesetzt. Ein Modell der Schule am Dammweg von Bruno Taut zeigt, wie in einem riesigen Gebäudekomplex Schüler aller sozialen Schichten und jeder Altersstufe zusammen mehr als nur Pauken erleben sollten. Die Reformschulen hatten allerdings ein jähes Ende mit Beginn der NS-Zeit. Im Nordsee-Sand und einem Strandkorb findet sich der Besucher im zweiten Teil der Ausstellung wieder. Klassenfahrten und Schullandheim-Aufenthalte gehörten zum Konzept der Reformschulen der Nachkriegszeit. Wieder war Neukölln als Hochburg der Sozialdemokraten dafür prädestiniert, modellhaft in Sachen Schule zu sein. Gymnasium und Realschule wurden zur Einheitsschule zusammengelegt.
Eine original „68er-Handdruckmaschine“ leitet die dritte Phase der Ausstellung ein. Der Besucher bekommt Dokumente aus den bisher verschlossenen Schubladen der damaligen Schülervertretungen zu sehen: Flugblätter gegen autoritäre Erziehung und für freie Entfaltung in der Schule. Auch hier war Neukölln Vorreiter mit einer der ersten integrierten Gesamtschulen (IGS) der Republik, der Walter-Gropius-Schule. Heute besuchen 46 Prozent der immerhin 38.000 Schüler eine der sechs IGS des Bezirks. Gerade ihr Interesse will die Ausstellung wecken. jwe
Ganghoferstraße 3–5, bis 1994
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