: Prickelndes Kurvengefühl
■ Ein Italien-Roman von Luigi Meneghello über Wirrköpfe, Widerspruchsgeist und Motorradkultur
Der Versuch, den Luigi Meneghello unternimmt, ist von Anfang an mit gebührender Skepsis zu betrachten: das Phänomen Italien zu erklären. Das kann nur scheitern, und mit ebendiesem Scheitern spielt der Autor.
Es ist das Italien der Nachkriegszeit (nach Meneghellos Resistenza-Roman „Die kleinen Meister“) und die Sehweise eines in England lebenden Autors (seit 1947). Zweifache Distanz also, zeitliche und örtliche, prägt diese Prosa. Aber daran liegt es nicht, daß die Geschichte seltsam weit weg erscheint. Es ist der Ich-Erzähler, dem näherzukommen so schwer fällt. Allzu wenig verrät er von sich: Motorradfan, wie wir bereits auf der ersten Seite erfahren, ein ungestümer, aber wohlerzogener junger Mann, belesen und vor Wutanfällen nicht gefeit. Fremd und schemenhaft tritt der Protagonist letztlich aus dem Gedankengebilde hervor, das er den Lesern auf 200 Seiten ausbreitet.
In Vicenza ging er zur Schule und in Padua auf die Universität. Ein Wirrkopf, der auf seiner DKW (dikappavi auf italienisch) im vierten Gang die venizianischen Hügel auf- und abbraust und mit den Leuten teilen will, was er „aus den Büchern gelernt hatte“. Das Motorrad rast mit unserem Helden durch die italienische Nachkriegszeit, durch das aus dem Faschismus auftauchende Land. Was dabei vor allem zählt – und was im bequemen Auto niemals nachzuvollziehen wäre –, ist das prickelnde Kurvengefühl. „Das Kurvengefühl beherrscht die Nachkriegsmonate: die Zeit legt sich gewissermaßen selbst in die Kurve, ein langsamer, beständiger Richtungswechsel mit einigen Nadelkurven und mehreren plötzlichen Vollbremsungen vollzieht sich.“
Vicenza und die umliegenden Dörfer bilden den Rahmen, in dem der Motorradfan durch die italienischen vierziger Jahre kurvt. Widerspruchsgeist und Motorradkultur werden dabei in engem Zusammenhang gesehen.
Mit Humor und ohne Larmoyanz entsteht auf diese Weise ein Zustandsbild der italienischen Jugend nach 1945. Präzise, in etwas schnoddrigem Tonfall, werden ihre Hoffnungen beschrieben und ihre Lebenslust. Im Mittelpunkt steht das politische Engagement für die Aktionspartei. Über die Illusion der Linken, das italienische „Volk“ zu bekehren, berichtet der Ich-Erzähler aus der Erinnerung, das heißt, die Geschichte des politischen Engagements wird aus dem Bewußtsein des Wissenden heraus erzählt.
Das „Volk“, das da zu selbständigem Denken bekehrt werden soll, kommt dabei entschieden zu kurz. Über die Taten, Träume und Ambitionen der ItalienerInnen nach dem Faschismus erfahren wir wenig, wenn nicht nur gar das eine: Das „Volk“ will justament das nicht, was der Ich-Erzähler, das Mitglied der Aktionspartei, mit ihm vorhat. Meneghello gönnt uns nur den Blick seines jungen Helden, was dem Roman eine gewisse Frische und einen gewissen Witz verleiht. Und eine latente Ironie, die aber streckenweise ein wenig bemüht wirkt.
Das Leben seiner Landsleute scheint von den großen politischen Umwälzungen im Grunde wenig betroffen. Nach wie vor geht es um leichtes Geldverdienen, ob Diktatur, Monarchie oder Demokratie – welche Rolle spielt das schon. „Wieder da!“ beweist einmal mehr: Den Alltag umgibt ein stählernes Gehäuse.
Die Reden des jungen Aktionspolitikers am Dorfplatz, die Versuche, die Bauern für die Ideen der Partei zu gewinnen, die Verwandten zu überzeugen, die Diskussionen mit den Freunden und Parteimitgliedern spiegeln die spezifisch für die italienische Nachkriegszeit geltende Lust am Politischen wider. Von Festen und Feiern ist die hier geschilderte Welt durchzogen. Und von dem Wunsch nach Erneuerung. Die allzu gutmeinenden pädagogisierenden Projekte, wie etwa Elio Vittorinis Zeitschrift Il Politecnico, werden dabei mit der komisch wirkenden Arroganz dessen kritisiert, der selbst mit den eigenen Ansätzen auch nicht viel weiterkam.
Der Verlag wirbt für das Buch mit Parallelen zum Italien von heute. Damit tut man dem Roman keinen Gefallen. „Wieder da!“ beschreibt in vielen kleinen Episoden das Italien unmittelbar nach dem Faschismus aus der Sicht eines naiven engagierten Jungen. Mehr nicht. Darin liegen seine Grenzen, aber auch seine Stärken. Margit Knapp Cazzola
Luigi Meneghello: „Wieder da!“ Roman. Aus dem Italienischen von Marianne Schneider. Wagenbach, Berlin 1993. 208 Seiten, 36 DM
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