piwik no script img

Kontemplatives Ohrenbohren

Vor einem mikroskopisch kleinen Publikum mußte das Pollicino Ensemble in der Gnadenkirche spielen. Die Gruppe, zur Zeit bestehend aus Helge Slaato (Violine), Annette Slaato (Viola) und Frank Reinecke (Kontrabass), stellte am Donnerstag Abend Werke von Frescobaldi, Scelsi und Xenakis vor. Das Ensemble, das 1985 auf dem Festival Cantiere Internazionale dell' Arte in Montepulciano gegründet wurde und für das schon Komponisten wie N.V. Bentzon, Isang Yun, Bent Lorentzen und Hans Vogt Stücke geschrieben haben, zeigte Virtuosität.

Neben den zwei italienischen Kompositionen nahm sich Xenakis Stück „Theraps“ wie ein Torpedo unter spielenden Delphinen aus. Seine an das Gesumme von Ungeziefer erinnernde Komposition, brutal und ausgesucht vulgär, kann vom Interpreten nur intoniert weden, da jegliche herkömmliche Vorgaben zum Ausdruck fehlen.

Wenn diese Musik die Ohren schrumpfen ließ, so durften sie bei den drei Werken des Renaissance- Musikers Frescobaldi um so mehr wachsen. Die arkadischen Harmonien, die überraschenden Tempowechsel und die gefühlvollen, aber dennoch unsentimentalen Melodien waren katharsische Stimuli für das überreizte Sonnengeflecht.

Genau in der Mitte zwischen Xenakis Nahkampfgeräuschen und Frescobaldis ausbalancierter Homöopathie liegt der Musikerschamane Scelsi. Von ihm wurden nur Solostücke gespielt, je eines für jedes Instrument. Sie sind von Scelsi ohne Rücksicht auf die Eigenheiten der Instrumente komponiert worden und darum unglaublich schwer zu spielen. Ihre kontemplative Kompaktheit erzeugte eine etwas unheimliche Vibration der Trennwand zwischen linker und rechter Gehirnhälfte. Die magnetische Wirkung seiner Musik bohrte ihren Blick wie eine Klangsphinx in die Ohren der Zuhörer. Daniel Rau

Weiteres Konzert: Sonntag, Schloß Reinbek

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen