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Wo Bob Marley die Scharia stützt

Sudan ist das erste arabische Land, in dem die Islamisten den „Marsch durch die Institutionen“ geschafft haben. Die seit 1989 herrschende, religiös inspirierte Militärjunta kann sich jetzt eine tolerante Selbstdarstellung leisten  ■ Aus Khartum Khalil Abied

Das Flugzeug landet in einer Staubwolke. Von der Landepiste aus scheint Khartum, die Hauptstadt des Sudan, aus Sand zu bestehen: Bis zum Horizont sind nur Sandflächen zu sehen, in der Nähe der Rollbahn laufen einige hundert verschleierte Mädchen mit langen sandfarbenen Kleidern in militärischen Kolonnen: Kämpferinnen der „Volksmiliz“. Beim Ausgang auf dem Flughafen passiert der Reisende ein Transparent: Welcome To The Federal Republic Of Sudan.

Es ist Winter in Khartum – und das Thermometer zeigt fast 40 Grad im Schatten. Aus den Musikläden klingt ein buntes Potpourri aus beschwingtem Afro-Pop, Koranrezitationen und wehklagenden arabischen Liebesliedern. Im Geschäftszentrum bummeln Männer in langen weißen Gewändern und weißen Turbanen auf dem Kopf scheinbar ziellos vor Schaufensterauslagen: Es gibt wenig zu kaufen, aber viel zu bezahlen. Im Schatten der Mauern liegen Männer, Frauen und Kinder, manche in zerfetzten Kleidern, auf dem Boden und schlafen. Für viele ist eine dicke Pappe oder eine Strohmatte das neue Obdach nach langer Flucht vor der Dürre im Westen oder dem Bürgerkrieg im Süden des Landes.

Treffpunkt dreier Kulturen

Was für ein Land ist Sudan, seit 1989 von einer als islamistisch geltenden Militärjunta regiert? „Wir sind ein armes Dritte-Welt-Land, das versucht, sich zu entwickeln“, erklärt ein hoher Regierungsbeamter. „Das ist eine Militärdiktatur, die von den Fundamentalisten geführt ist“, meint ein Oppositioneller. „Wir wollen ein modernes und entwickeltes System aufbauen, das auf unserem islamischen Glauben und den islamischen Gesetzen basiert“, sagt ein Führer der islamistischen Bewegung.

Khartum ist ein Treffpunkt dreier Kulturen: der afrikanischen, der arabischen und der islamischen, mit einem kleinen Hauch von westlicher Welt. Nur wenige Frauen tragen ein Kopftuch über moderner, aber züchtiger Kleidung. Die meisten tragen das geliebte „Tob“, eine fünf Meter lange Schärpe in bunten Farben und Blumenmustern, die locker um Körper und Kopf gewickelt ist. Dazwischen taucht auch mal eine Gruppe Schwarzafrikanerinnen in knielangen Rüschchenkleidern und ohne jede Kopfbedeckung auf. „Die Regierung hat gemerkt, daß es unmöglich ist, den Sudanesinnen etwas aufzuzwingen, wie etwa den saudischen oder den iranischen Frauen“, sagt die Hausfrau Selwa und lacht. „Die Freiheit liegt uns Sudanesen im Blut.“

„Nationale Errettung“ durch das Militär

Als 1989 der Bürgerkrieg im Süden sich auch auf die nördlichen Provinzen auszuweiten drohte, putschte sich eine Militärjunta aus jungen Offizieren an die Macht, die die islamische Scharia-Gesetzgebung zum Regierungsprogramm erhob. „Die Revolution der Nationalen Errettung“ heißt der Staatsstreich heute im offiziellen Sprachgebrauch. Die selbsterklärten Ziele waren die Rettung des Sudan vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch, vor der Unterentwicklung und vor der Vetternwirtschaft und Korruption, die die vorherige Mehrparteienregierung hinterlassen hatte.

Die Militärs lösten die Parteien auf, verhafteten ihre Führer und Kader. Tausende von Staatsangestellten und Armeeangehörigen, so schätzt die Opposition, wurden aus politischen Gründen entlassen. Unverschleierte Frauen wurden auf die Polizeiwache zum Verhör geschleppt. Regierungsgegner wurden in sogenannten „Gespensterhäusern“ gefoltert. Die meisten Sudanesen, die erst 1985 in einem Volksaufstand die Diktatur des seit 1969 herrschenden Präsidenten Numeiri zu Fall gebracht und Sudan zur Mehrparteiendemokratie gemacht hatten, blieben diesmal passive Zuschauer. Es herrschte wenig Euphorie über den neuen Machtwechsel, aber der alten Parteienregierung weinte auch niemand eine Träne nach.

„Der Sudan hat alles ausprobiert: den arabischen Nationalismus, den Sozialismus, die Mehrparteiendemokratie und das Militärregime. Alle sind an den Problemen des Landes gescheitert. Es bleibt uns nur eines: Der Islam“, sagt ein hoher Funktionär der Nationalen Islamischen Front (NIF), die den Putsch unterstützte. Manche Beobachter sehen in der vom Islamisten Hassan Al-Turabi geführten und offiziell aufgelösten NIF die eigentlichen Drahtzieher des Putsches.

„Turabi und seine Leute haben den Aufstand von 1985 gestohlen“, klagt ein sudanesischer Politiker, der an mehreren Regierungen beteiligt gewesen ist. „Wir haben später entdeckt, daß der Präsident des Übergangsmilitärrates, der Ministerpräsident der Übergangsregierung, der Stabschef der Armee und viele andere Mitglieder oder Sympathisanten der Islamischen Front waren.“

Von der Strategie der Kommunisten gelernt

Die ersten Zellen der Islamisten entstanden in den fünfziger und sechziger Jahren, damals noch unter dem Namen „Moslembrüder“, an den Universitäten und Hochschulen in Khartum. Nach dem Studium begann die erste Generation der Islamisten, in allen Bereichen der städtischen Gesellschaft Fuß zu fassen: unter den Händlern, im Staatsapparat, unter Lehrern und Hochschullehrern und in der Armee.

Ihre erste Chance erhielten die Islamisten unter der Diktatur Jaafer Numeiris. Numeiri, der sich 1969 an die Macht putschte, schwebte zunächst ein sozialistisches Entwicklungsmodell vor. Unterstützt wurde er von den Kommunisten, damals die am besten organisierteste Partei mit großem Einfluß unter den Intellektuellen und in den Gewerkschaften. 1971 organisierten die Kommunisten einen Putsch, der fehlschlug; die Partei wurde von Numeiri brutal liquidiert, ihre Führer hingerichtet.

Auf der Suche nach neuen Alliierten wandelte sich Numeiri Ende der siebziger Jahre vom „Genossen“ zum „Imam“ und nahm Turabis Anhänger in seine Regierung auf. Die islamische Scharia wurde zur Grundlage der sudanesischen Verfassung. „In dieser Zeit lernten die Islamisten den Staatsapparat von innen kennen und begannen ihre Anhänger in die verschiedenen Apparate zu schleusen“, erklärt ein Oppositionspolitiker.

Doch das Bündnis hielt nicht lange. Aufgrund des Drucks aus dem Westen und seitens konservativer arabischer Länder kündigte Numeiri seine Allianz mit den Islamisten wieder auf. Turabi und die anderen Führer der islamistischen Organisationen landeten im Gefängnis.

Als Numeiri 1985 von der Macht vertrieben wurde, waren die Islamisten Teil der Opposition. Die NIF hatte aber viel aus der Erfahrung der Kommunisten gelernt. Sie hatte sich gut organisiert, Massenorganisationen für die Jugend und für Frauen gebildet und einen nicht unerheblichen Einfluß in den Berufsvereinigungen erlangt. Über die mehr als 100 ihr nahestehenden Wohltätigkeitsorganisation war sie die einzige einheimische Kraft, die den Hungerflüchtlingen Mitte der 80er Jahre und den Opfern der Überschwemmungskatastrophe 1988 effektiv helfen konnte. Über ihr angehörende reiche Händler und die islamischen Banken konnte sie ihren Einfluß auf wirtschaftlichem Gebiet ausbauen.

Ein islamischer Staat, den Nicht-Muslime lieben sollen

Vier Jahre nach der „Revolution“ ist das Regime jetzt dabei, den innenpolitischen Druck zu lockern. Ehemalige Repräsentanten der anderen Parteien wurden, wenn auch als Einzelpersonen, nach und nach in staatliche Positionen zurückberufen. Die Regierung ist zur Zeit auch bemüht, den religiösen Minderheiten die Angst vor dem Projekt eines „Islamischen Staates“ zu nehmen.

So wurde kürzlich ein Gesprächskreis des nationalen „Dialogs der Religionen“ zwischen Muslimen, Christen und Animisten ins Leben gerufen. „Wir waren zwar gegen die Einführung der islamischen Scharia und haben der Regierung klar gesagt, daß unsere Frauen nicht bereit seien, sich entsprechend der islamischen Gesetze zu verschleiern“, sagt der koptische Pater Theotaurus Farag, einer der Mitinitiatoren des „Dialogs“. „Aber die Regierung hat uns versichert, daß das islamische Strafrecht auf Christen keine Anwendung findet, wir alle Angelegenheiten des Privatrechtes nach unseren eigenen Glaubensgrundsätzen regeln könnten und volle Glaubensfreiheit und Gleichheit als Bürger dieses Staates genießen.“

Differenzen zwischen Hardlinern und gemäßigten Erneuerern in der islamistischen NIF sind die Hauptgründe für die Öffnung. Vor allem NIF-Führer Hassan El-Turabi, der in England Rechtswissenschaft studierte und an der Sorbonne promoviert hat, gilt als Architekt einer modernen, islamischen Gesellschaft mit zivilen Institutionen. Die Sudanesen hatten noch nie etwas für die strenge islamische Orthodoxie übrig. Der Islam hielt im Sudan nicht wie in den anderen arabischen Ländern mit den Kämpfern der arabischen Halbinsel Einzug, sondern über Händler und Sufiprediger, die vor dem Zugriff der Orthodoxie in Mesopotamien und Nordafrika hier eine Art politisches Exil fanden und sich über Generationen mit den Einheimischen vermischten.

„Allahu akbar“ mit E-Gitarre

So heißt Islamisierung im Sudan auch „Back to the roots“. Im Fernsehen sieht man regelmäßig afrikanische Tanzgruppen zu den Rhythmen von Trommeln und den Klängen von E-Gitarren „Allahu Akbar“ singen. Und Bob Marley steht neben Derwischliedern ganz oben auf der Hitliste.

Für andere islamische Kräfte, wie die Moslembrüder und die Ansar Al-Sunnah, kommt das Häresie gleich. „Turabi meint, das Volk selber solle den Islam nach seinem Gutdünken interpretieren“, kritisiert der Führer der sudanesischen Moslembrüder, Sadiq Abdel Majad. „Dabei gibt es im Islam festgelegte Regeln. Allein den Rechtsgelehrten, die Theologie und Islamisches Recht studiert haben, gebührt es, die religiösen Texte zu interpretieren und auf neue Bedingungen anzuwenden“.

Rätesystem mit Meinungsfreiheit?

Jetzt ist die Regierung damit beschäftigt, ein neues politisches System aufzubauen, das die Militärherrschaft ablösen könnte, ohne die Grundlagen des Regimes selbst in Frage zu stellen. Stadtteil- und Dorfräte werden gebildet, die von Einwohnerversammlungen direkt gewählt werden. Diese wählen Stadt- und Provinzräte, diese wiederum die Räte der Bundesstaaten und den „Volksrat“, das Nationale Parlament.

„In den Komitees herrscht absolute Meinungsfreiheit“, beteuert Mohammed Khalifa Amin, Präsident des von Staatspräsident Beschir ernannten Übergangsparlaments. „Die einzige Bedingung ist, daß die Mitglieder an Gott glauben, unabhängig davon, ob sie Christen oder Muslime sind oder den Naturreligionen angehören.“ Bislang jedoch, so Amin, boykottierten die Vertreter der aufgelösten Parteien die Wahlen – was dazu führt, daß vor allem die Vertreter der NIF in den Komitees vertreten und aktiv sind.

„Es ist sehr schwierig, dieses Regime zu ändern“, meint ein Oppositionspolitiker. „Ein Militärputsch scheint ausgeschlossen, ein Volksaufstand ebenfalls. Und jeder Versuch von außen, das Regime zu stürzen, wird umgekehrt dazu führen, daß sich die Sudanesen hinter die jetzige Regierung stellen werden.“

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