: Selbstaufgabe von oben!
■ betr.: "Politik statt Depression", Kommentar von Jürgen Gottschlich, taz vom 5.5.93
betr.: „Politik statt Depression“, Kommentar von Jürgen Gottschlich, taz vom 5.5.93
Der Satz: „Lafontaines Ablehnung einer schnellen Vereinigung war zwar richtig, wurde von der Parteimehrheit aber nicht getragen“, stimmt so nicht. Der SPD-Kanzlerkandidat von 1990 und Protagonist des SPD-Reformprogramms „Ökologische Modernisierung der Industriegesellschaft“ wurde nicht von der Basis, sondern von Teilen des SPD-Establishments gekippt, und zwar schon vor der Wahl. Von jenen, die nicht rasch genug auf Gefühl und Emotion umschalten konnten, sich so konservativer Wahlkampfstrategie unterwerfend, die den kühlen Kopf verloren, statt ihren führenden politischen Kopf zu unterstützen und auf einer phantasievollen, vernünftigen, schrittweisen Gestaltung der deutschen Einigung zu bestehen, um nach der Wahl, als die Entwicklung Lafontaine immer drastischer recht gab, desto selbstbewußter als Regierungsalternative aufzutreten. Nicht die Basis – führende Funktionäre haben die SPD als Opposition kastriert und 1990 die „Bonner Wende“ mit ihrer ungehemmten Wirtschaftsideologie, die CDU/CSU/FDP 1982/83 durchpaukten, nachvollzogen. Selbstaufgabe von oben!
Die Identität der SPD als Reformpartei droht vollends zerstört zu werden, wenn das gegenwärtige Possenspiel um die Führung nicht in einer selbstkritischen Aufarbeitung der Ursache dieses Desasters mündet, die Partei nicht zu ihren Wurzeln und damit zu ihrer Kraft zurückfindet: der Kontinuität von Reformprogramm und Führungspersonen, der Einheit von Mut und Stehvermögen. Christa Weise, Merzig
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