: Lügenbaron aus Radebeul
■ Der DFB verweigerte Dynamo Dresden in erster Instanz die Lizenz für die Saison 93/94 / Weil die letzte Lizenz erflunkert wurde, droht zudem ein Punktabzug
Berlin (taz) – Radebeuler, das ist bekannt, sind versierte Geschichtenerzähler. Wolf-Rüdiger Ziegenbalg, Ex-Präsident von Dynamo Dresden, ist da keine Ausnahme. Mit seinem großen Vorläufer Karl May kann er zwar nicht ganz mithalten, aber was er dem Deutschen Fußballbund (DFB) vor Jahresfrist, als es um die Bundesligalizenz für Dynamo ging, an abenteuerlichen Märchen auftischte, hätte für manch lange Nacht am Lagerfeuer gereicht. „Wir sind in unglaublicher Form belogen worden“, sagt ein DFB- Vorstandsmitglied. Beträchtliche Zahlungsverpflichtungen wurden verschwiegen, dennoch verhalf den Dresdnern nur der Ost-Bonus zur Lizenz. Bei einem Zwangsabstieg ins Amateurlager wäre kein Ost-Verein mehr in der ersten Liga gewesen, dafür hätten die Stuttgarter Kickers die Klasse erhalten.
Trotz der Millionen, die durch Spielerverkäufe (Ulf Kirsten, Matthias Sammer, Uwe Rösler, Torsten Gütschow) hereinkamen, war es dem alten Präsidium gelungen, binnen kurzem Schulden von rund 15 Millionen Mark anzuhäufen. „Einige Leute haben sich sicherlich eine goldene Nase am Verein verdient“, mutmaßt Ralf Minge, der kürzlich Klaus Sammer als Cheftrainer ablöste und 1991 kurz im Management von Dynamo tätig war. Er bescheinigt der alten Vereinsführung unumwunden „amateurhaftes Verhalten, Großkotzigkeit unter anderem beim Stadionumbau und Unvermögen in der Transferpolitik.“
Erste Reaktion des DFB auf den offenkundigen Betrug: den Dresdnern wurde in erster Instanz die Lizenz für die kommende Saison verweigert. Dies dürfte jedoch kein unlösbares Problem sein, denn an die Stelle des Radebeuler Münchhausens ist inzwischen die neue Zwielichtgestalt des sächsischen Fußballs getreten: der gewichtige Bauunternehmer Rolf- Jürgen Otto, der bereits über fünf Millionen Mark in sein neues Steckenpferd Dynamo gepumpt hat, nachdem es ihm im Januar endlich gelungen war, die Macht zu übernehmen. Sollte Otto bereit sein, auch weiterhin sein Geld in einen Verein zu investieren, den er selbst einmal als „Faß ohne Boden“ bezeichnete, dürfte einer Lizenzerteilung eigentlich nichts im Wege stehen.
Weit gravierender könnte sich die Strafe auswirken, die Dynamo wegen der Flunkerei im letzten Jahr droht. Gerade hat der 1. FC Nürnberg 480.000 Mark Strafe für wesentlich kleinere Vergehen bei der Lizenzvergabe erhalten. Präsident Otto hofft, wenn er schon mal am Zahlen ist, ebenfalls mit einer Geldstrafe davonzukommen, doch wahrscheinlicher ist ein Punktabzug, wie ihn in einem ähnlichen Fall die Offenbacher Kickers 1985 bekamen. Vier Punkte Abzug, wie sie Franz Beckenbauer gewohnt maulfertig in den Raum stellte, würden den fast sicheren Abstieg bedeuten, und diesmal gäbe es sicher keinen Ost-Bonus mehr, zumal mit dem VfB Leipzig ein anderer Klub der ehemaligen DDR gute Aufstiegschancen hat. Matti
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