Unsympathisch, angepaßt, häßlich und gehemmt

■ „Die Denunziantin“ - ein Gespräch mit der Bremer Historikerin Inge Marßolek zu ihrem Buch, das Thomas Mitscherlich verfilmt hat

Mit großen dunklen Augen stiert Helene Schwärzel ihren Untersuchungsrichter an: „Vielleicht ist das Böse in mir stärker als das Gute.“ Helene Schwärzel ist an ihrem 44. Geburtstag, dem 14. Januar 1946, verhaftet worden. Sie wird der Denunziation an Dr. Carl Goerdeler, politischer Kopf des konservativen Widerstandes und Mitverschwörer des Hitler-Attentates 1944, angeklagt; ihr soll dafür — ein Jahr nach der Kapitulation — nach alliiertem Recht vor einem deutschen Gericht der Prozeß gemacht werden. Helene Schwärzel ist „Die Denunziantin“ — Titel eines Filmes des Regisseurs Thomas Mitscherlich (wir berichteten von der Berlinale) und Titel eines Buches der Bremer Historikerin Inge Marßolek. Beide Werke haben diese Woche ihre Bremer Premiere.

Hans-Josef Steinberg, Historiker an der Uni Bremen lieferte die Idee zu der Geschichte. Er hatte als Kind den Steckbrief Carl Goerdelers gesehen, auf dessen Kopf damals eine Million Reichsmark ausgesetzt waren. Den Namen der Frau, die dieses Geld bekommen hatte, konnte er nie vergessen.

„Es gibt bislang keine Geschichte der Denunziation im Nationalsozialismus; ich fand es spannend, den Nährboden dafür herauszuarbeiten und mich auf die Menschen von damals einzulassen.“ Eine Antwort auf die Frage nach politischer Verantwortung und Moral gibt Marßolek in ihrem Buch allerdings nicht. Begriffe wie Denunziation und Verrat benutzt sie wertungsfrei. „Mich interessierten die Geflechte um den Fall Helene Schwärzel, die dazu beitrugen, daß sie erst für ihre Tat als Heldin gefeiert und später selbst verraten und gebrandmarkt wurde.“ Sie sieht auf die Lebensläufe von Helene Schwärzel und Carl Goerdeler, rekonstruiert und dokumentiert die politischen Ereignisse der Jahre 1944 bis 1947 um Schwärzels Tat und geht der Persönlichkeit „der Denunziantin“ auf die Spur.

Marßolek arbeitet an der Forschungs- und Bildungsstätte zur Geschichte der Arbeiterbewegung in Bremen. Helene Schwärzel ist sie zunächst nur über ein aufwendiges Aktenstudium nähergekommen. „Das ist mir natürlich auch schwergefallen, diese Frau ist ja nun überhaupt keine sympathische Person. Sie war angepaßt, unterwürfig, gehemmt. Zwar war sie wohl nicht in der Lage, die damaligen politischen Zusammenhänge zu verstehen, wußte aber, daß Goerdeler nach ihrem Verrat hingerichtet werden würde.“ Helene Schwärzel ist für Inge Marßolek sowohl Opfer wie Täterin, paßt weder in das Bild der feministischen Kategorie einer „Judasfrau“ (nach Helga Schubert) noch in diejenige der „friedfertigen Frau“ (Margarete Mitscherlich).

Im November 1946 wurde Helene Schwärzel zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt, die nach der Revision auf sechs Jahre vermindert wurden. Ein ungewöhnlich hohes Strafmaß in Bezug auf vergleichbare Denunziationen. Dazu Inge Marßolek: „Der Prozeß gegen Helene Schwärzel wurde zum herausragenden Einzelfall hochgespielt. Die deutsche Justiz wollte ein erstes 'angemessenes' Nachkriegsurteil liefern, und die 1 Million Reichsmark machte die internationale Presse geil.“ Das alles ging so weit, daß Helene Schwärzel gar wegen ihres Namens diffamiert und als die häßliche, kleine Frau, die sie war, zur Hexe stilisiert wurde.

Das Buch provoziert eine Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Denunziation, das heute wieder neu diskutiert werden muß. Thomas Mitscherlichs Film ist dazu kein Ersatz, sondern eine Ergänzung. Silvia Plahl

I.Marßolek: Die Denunziantin. Edition Temmen, 1993. DM 24,80

Der Film läuft ab heute im Cinema, 19 Uhr.