: Streit um „Story-Dealer“ kocht weiter
Sitzung des Jugendhilfeausschusses mehrmals kurz vor dem Abbruch / Leiter der „Story-Dealer“, Johann Geißlinger, wehrt sich gegen Vorwürfe und sieht sich als Opfer einer Hetzkampagne ■ Von Hella Kloss
Kreuzberg. Der vollbesetzte Saal der Bezirksverordnetenversammlung Kreuzberg brodelte, die Sitzung des Jugendhilfeausschusses stand am Dienstag abend mehrmals kurz vor dem Abbruch. Die Auseinandersetzung um die Jugendreisen der „Story-Dealer“, die sich erstmals selbst vor dem Ausschuß äußerten, geht turbulent weiter.
Der Gruppe, die für das Bezirksamt Kreuzberg über zehn Jahre lang „phantastische Reisen“ durchführte, wird vorgeworfen, mit ihrem Konzept Kinder extrem überfordert zu haben. Weder sei den Eltern vorher das Ausmaß der inszenierten Geschichten bekannt gewesen, noch könnten die Kinder während der dreiwöchigen Reisen aussteigen, so die Kritik des Jugendhilfausschusses.
„Wir weigern uns, in diesem Klima zu den pädagogischen Konzepten Stellung zu nehmen“, verkündete die Gruppe am Ende der mehr als dreistündigen Sitzung. Zuvor hatte Johann Geißlinger, Leiter der „Story-Dealer“, eine Erklärung abgegeben, in der er alle Vorwürfe zurückwies und von einer „beispiellosen Hetzkampgne“ sprach. Hintergrund der jetzigen Vorwürfe sei ein Artikel im tip vom Oktober 1992. Die damalige Veröffentlichung beschäftigte sich mit dem Problem, wenn Väter zu Unrecht des sexuellen Mißbrauchs angeklagt werden. Im Speziellen ging es um Johann Geißlinger, der verdächtigt wurde, seinen Sohn sexuell mißbraucht zu haben. Erst nach dieser Veröffentlichung, so Johann Geißlinger, hätten die Vorwürfe und Kritiken begonnen.
Er zitierte aus einem Brief vom 18. Dezember 92 an das Jugendamt Kreuzberg, indem Frauke Homann, Mitarbeiterin in der Kinderschutzkonferenz, geschrieben hatte, man sei durch die tip-Veröffentlichung auf ihn aufmerksam geworden. Seit Anfang der achtziger Jahre habe er 36 Projekte durchgeführt, bei denen es weder zu einem frühzeitigen Abbruch noch zu wesentlichen Verletzungen oder nennenswerten Beschwerden gekommen sei, betonte der „Story-Dealer“ verärgert. Nachfragen der Ausschußmitglieder über mangelnde Offenlegung der Konzepte beantwortete er allerdings nicht.
Am Anfang der Sitzung hatte sich der Potsdamer Professor für Erziehungswissenschaft Detlef Knopf zu den Reisen geäußert, der als Experte geladen war. „Ich halte die Konstruktion im Kern für fahrlässig. Ein pädagogisches Konzept ist für mich nicht erkennbar“, urteilte er. Wichtig wäre, den Kindern zu helfen, mit simulierter Realität richtig umzugehen. „Doch dies verbauen sich die Erzieher, weil sie in pädagogischen Rollen nicht auftauchen, sondern als Regisseure agieren“, meint er.
Vehement griff Reinhart Wolff, Rektor der Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädaogik Berlin, in die Diskussion ein. „Warum geben sich Kollegen dafür her, ohne empirische Erkentnisse, über eine Gruppe von Pädagogen den Stab zu brechen?“ kritisierte er seinen Vorredner. Es ginge hier nicht um die „Story-Dealer“, sondern um den Umgang mit sexueller Mißhandlung. „Es gibt eine Kampagne gegen die Gruppe, weil ein Mitglied persönlich von dieser Diskussion betroffen ist.“
Die Vorsitzende des Ausschusses, Christiane Zieger (AL), widersprach: „Diese Vermutung geht an dem vorbei, was uns im Jugendhilfeausschuß bewegt.“ Wütende Zwischenfragen der zahlreich erschienenen Zuschauer und heftige Reaktionen der Betroffenen führten dazu, daß die Sitzung unter Tumulten zu Ende ging. Alle Beteiligten waren sich jedoch einig, daß weiter diskutiert werden muß – auf der nächsten Sitzung.
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