„Nie zuvor waren wir so stumm“

■ „VEZAGREBERLIN“: Austauschprogramm zwischen Künstlern aus Zagreb und dem „Tacheles“ / Wie geht Kunst mit Krieg um? / Theater, Musik, Performance

Mitte. VEZAGREBERLIN ist ein Sprachspiel. Das kroatische Wort Veza bedeutet Verbindung; verbunden werden sollen Zagreb und Berlin; Verbinden erinnert aber auch an Krieg, Wunden, Blut, also an jenes Thema, das die für zehn Tage ins „Kunst- und Kulturzentrum Tacheles“ eingeladenen 28 KünstlerInnen aus der Flüchtlingsstadt Zagreb mitbringen, ob sie wollen oder nicht.

Auch das, was früher nur harmlos klang, wie der in originellem Deutsch geschriebene Lebenslauf des jungen Bildhauers Daniel Kovac, erhält dadurch einen neuen Unterton. „In dem Kontakt mit Holz“, schreibt er, „kann Metall, auf den ersten Blick, auch sehr zahm aussehen, aber das ist immer ein Spiel zwischen dem Wolf und Lämmchen. Eine Axt, schön lackiert und bemalt, kann auf der Wand sehr hübsch aussehen, aber mit ihr kann man auch Köpfe herunternehmen.“ Der 27jährige wird zusammen mit anderen kroatischen und deutschen MalerInnen im „Blauen Salon“ arbeiten, himmelwärtsstrebend, weil direkt unterm Dach des „Tacheles“. Wer möchte, kann die Leute dort täglich zwischen 16 und 24 Uhr in ihrer „offenen Werkstatt“ besuchen.

„Noch nie zuvor war unsere mediale Welt so stumm“

Ein Besuch steht schon fest: Jörg Janzer, Künstler aus dem Scheunenviertel, will mit ihnen und allen Interessierten am 20. Mai um 19 Uhr im Kino des Hauses über den Krieg und die Folgen für die Kultur Tacheles reden. „Das nahezu totale Schweigen zum Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien“, so leitete er neulich einen Vortrag im Brechthaus ein, „offenbart einen seltsamen Widerspruch in unserer medial hochgerüsteten Welt: Nie zuvor war das kommunikative Netz so eng geknüpft – nie zuvor waren wir so stumm.“

Aber auch die kroatischen Kunstschaffenden fühlen sich in unfreiwilliges Schweigen zurückgeworfen. „Wir haben lange Jahre in Zagreb zusammengearbeitet“, berichtet der schon länger in Berlin lebende Tomislav, doch die Kriegsbedingungen hätten sie getrennt und zum Teil ins Exil getrieben. „Jetzt aber hat uns das ,Tacheles‘ wieder die Möglichkeit gegeben, zusammenzuarbeiten und zu zeigen, daß die Kulturszene auch im Krieg existiert.“ Und, noch drastischer: „Wir wollen nicht auf Kriegsniveau bleiben, auch wenn Ihr in allen unseren Werken den Krieg fühlt.“

Ein Comicmännchen auf dem Weg in den Alptraum

Selbst in Kurzfilmen wie „Die Reise des Herrn Elliot“, die nebenher im „Tacheles“-Kino „Camera“ laufen. Das Comicmännchen Mr. Elliot gerät in eine Abfolge von Sex und Horror, die zuerst sehr witzig, dann aber immer monströser und kriegerischer wird. Pause im Alptraum: Wenn die Pistolen statt Kugeln ein Zettelchen mit dem Wort „Bäng“ verschießen. Neben Zeichentrickfilmen werden von 13. bis 16. Mai jeweils von 21 bis 23 Uhr auch Dokumentar- und Kurzspielfilme sowie (Kriegs-)Videos gezeigt.

Weil VEZAGREBERLIN auch die Künste untereinander verbindet, sind außerdem Theater, Musik und Performance im Angebot. Vom 19. bis 21. Mai beispielsweise mixt die ins Exil geflüchtete „Grupa Kugla“ stampfende Fabrikgeräusche, Steine, Schienen und säuselnde Worte des Papstes Johannes Paul II. „über den Wert der menschlichen Arbeit“ zu ihrem Gesamtkunstwerk „Laborem exercens – Performance zur Eucharistie der Arbeit“. Und am 14. Mai spielt die Gruppe „Legen“ auf, deren Musik, so findet zumindest ein entsetzt-begeisterter Rezensent, „auf der Angst und der Befreiung von der Angst“ beruht. Auch diese Zagreber Kellerkinder werden offenbar das in den Knochen sitzende Grundmotiv nicht mehr los. Ute Scheub