: Bundesgrenzschutz-Beamte belasten Anwohner
■ Die Ermittlungen wegen „Horst-Wessel-Lied“ am 1. Mai kommen nicht voran
Kreuzberg. Der Staatsschutz hat nach eigenen Angaben inzwischen alle Beamten des Bundesgrenzschutzes (BGS) vernommen, die am 1. Mai in der Oranienstraße waren, als dort das „Horst-Wessel- Lied“ erklang. Einige der in Ahrensfelde und Hessen befragten rund 75 BGSler hätten bestätigt, das Nazilied gehört zu haben. Es sei aber nicht von den Beamten angestimmt worden, sondern „aus den oberen Stockwerken“ der Häuser in der Oranienstraße, faßte der Staatsschutzbeamte Simon das Vernehmungsergebnis gestern für die taz zusammen. Wie berichtet, bekunden mehrere Anwohnerinnen, eine in Blockformation marschierende BGS-Einheit habe das „Horst-Wessel-Lied“ gesungen. Auf die Frage, wie der Staatsschutz diese Aussage bewerte, sagte Simon: Die Zeuginnen seien sich subjektiv zwar 100 Prozent sicher, aber die Gegebenheiten vor Ort sprächen dagegen – immerhin seien die Zeuginnen 40 bis 70 Meter von der Blockformation der BGS entfernt und ihre Sicht zudem durch die Dunkelheit eingeschränkt gewesen.
Die beiden Anwohnerinnen, ohne deren Angaben nie ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden wäre, bekräftigten gestern erneut gegenüber der taz: Sie seien sich „hundert Prozent sicher“, das Lied aus der Blockformation der BGS-Einheit gehört zu haben. Dies hätten sie dem Staatsschutz auch so zu Protokoll gegeben. Die Entfernung von ihrem Fensterplatz im 2. Stock zu der BGS-Einheit habe etwa 45 Meter Luftlinie betragen. Die Einheit, so eine der Frauen, sei ihr wegen der merkwürdigen Formation aufgefallen, noch bevor das Nazilied ertönte. Der Lautstärke nach zu urteilen, hätten drei oder vier Beamte gesungen. Gegen die Bewertung ihrer Aussage durch den Staatsschutz verwahrten sich die Anwohnerinnen entschieden: Sie hätten sich nicht als Zeuginnen gemeldet, wenn sie sich nicht so sicher wären: „Es macht bestimmt keinen Spaß, sich vom Staatsschutz vernehmen zu lassen.“ Die Befragung schilderten beide unterschiedlich. Die Frau, die ihren Anwalt mitgenommen hatte, verspürte das Bemühen der Beamten, den Fall aufklären zu wollen. Hingegen fühlte sich die zweite Zeugin von einem männlichen Beamten wie eine Beschuldigte behandelt. Im Gegensatz zu seiner Kollegin habe der Mann so gewirkt, als wolle er die Sache unter den Teppich kehren.
Der Beamte Simon betonte, die Ermittlungen würden fortgeführt. Aus dem Video eines Amateurfilmers (die taz berichtete) gehe hervor, daß viele Anwohner und Passanten den Vorfall mitbekommen hätten. Auch sei zu sehen, daß noch mehrere Personen aus den Fenstern heraus filmten. Der innenpolitische Sprecher des Bündnis 90/Grüne, Wolfgang Wieland, kann sich seit der letzten Innenausschußsitzung nicht des Eindrucks erwehren, daß die Polizeiführung in dem Fall „deckelt“. Jetzt hänge viel davon ab, ob sich weitere Zeugen meldeten. Voraussetzung sei allerdings, daß „die Szene-Angehörigen ihre Hemmungen gegen die Polizei überwinden“. Plutonia Plarre
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen