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Zum Schrecken der Genießer

150 Kunstwerke suchen nach einer Herberge: Die Sammlung Beyeler haust in Berlin  ■ Von Ulf Erdmann Ziegler

An die Präsentation der „Meisterwerke“ aus den Sammlungen der Guggenheims vor vier Jahren erinnern die Kuratoren der Nationalgalerie in Berlin, um auf die Sammlung Ernst und Hildy Beyeler einzustimmen. Aber der Status von Sammlern und Sammlung ist nicht wirklich vergleichbar. Ernst Beyeler ist ein Kunsthändler in Basel, der nach und nach eine Sammlung abgezweigt hat. Mäzen möchte er erst noch werden. Für jemanden, der ohne Vermögen begann zu handeln (zunächst mit Antiquitäten), hat Beyeler Schätze der Klassischen Moderne angesammelt, mit deren Ertrag – wenn die bereits gegründete Stiftung der Eheleute zurückfließen würde in den Handel – trotz Kunstmarkts- Baisse der eine oder andere Straßenzug zu erwerben sein dürfte.

Nun wird der Händler zum Sammler: Er erkennt in seinem Lebensweg den Zug des Edlen, er möchte die Schätze nicht mehr vergrößern, sondern konservieren, den Klang der Schlauheit von seinem Namen streifen und ihm etwas Weises hinzufügen: zunächst einmal seine Ehefrau, deren Namen in die Stiftung mit eingeht.

Aber auch eine Sammlung, die verschenkt werden soll, muß verkauft werden. So mußte sich die Stadt Köln erst einmal darauf einstimmen, daß ein von ihr zu errichtendes Museum „Ludwig“ heißen sollte; und Carl Vogel müht sich in Hamburg, seine Grafiksammlung zu verschenken, für die er die Auflage macht, daß sie ständig komplett gezeigt wird. Das Problem sind, von Fragen der Repräsentation, Eitelkeit und Diplomatie abgesehen, vor allem die laufenden Kosten. Der Sammler möchte nicht, daß die öffentlichen Hände der Kuratoren mit seinen Schätzen das tun, was er selbst damit tut: sie ansehen oder zeigen, wann er Lust dazu hat. Die Gegenwart seiner Sammlung in der Aufmerksamkeit der Nachgeborenen ist erst dann garantiert, wenn sie ihr eigenes Museum bekommen hat.

So denken auch die Beyelers, die an ihrem Wohnsitz Riehen – ein besserer Baseler Vorort, ehemals ein Dorf – ein Museum für ihre Sammlung errichten wollen, auf eigene Kosten. Der Architekt soll Renzo Piano sein, der mit seinem ersten, gewächshausähnlichen Entwurf bereits erste Unmutsäußerungen aus der Bevölkerung geerntet hat. Ob die Sammlung überhaupt kommen darf, wird bei einer Abstimmung am 6. Juni in Riehen entschieden. Nun müßte Riehen jährlich 750.000 Franken für die laufenden Kosten aufbringen und gleichzeitig einen Strukturwandel in Kauf nehmen. Ohne Zweifel würde aus dem Örtchen so ein kleines europäisches Kunst- Disney, wie Humlebaek bei Kopenhagen. Zusätzlich muß für den Museumsneubau eine Villa weichen, in der eine Händlerin von Katzen-Skulpturen ein Katzenmuseum eingerichtet hat, eine Kuriosität von internationalem Bekanntheitsgrad, aber ohne Massenpublikum.

Da haben wir, von ungewöhnlich exemplarischer Pracht, den klassischen Fall der klassischen Moderne: sie kommt als Gabe des internationalen Patriziertums an eine mobile Klientel, die ihr Interesse für kultiviert und arglos hält, und fortschrittlich, gemessen an den kleinbürgerlichen Widerständen und lokalen Empfindlichkeiten, die sich den modernen Bildungsbürgern als unbegreiflich darstellen. So fliegen zur Zeit ganze Flugzeuge voll kunstsinniger Basler und Baslerinnen nach Berlin, um unter Begleitung jeweils einer politischen Lokalprominenz in 55 Minuten die Tiefen der Sammlung zu ergründen, die ihnen entgeht, wenn die Riehener sich dagegen sperren sollten.

Es ist gewissermaßen ein Akt internationaler Solidarität, wenn die Nationalgalerie nun diese Sammlung zeigt. So kann Christian Fluri in der Basel-Landschaftlichen Zeitung die Berliner Kuratorin Angela Schneider zitieren, die Sammlung sei mit Sorgfalt und „außerordentlichem Kunstsinn“ zusammengestellt.

Im zur Westseite hin offenen Kellergeschoß der Neuen Nationalgalerie werden die rund 150 Kunstwerke so präsentiert, als sei die Sammlung des Museums über Nacht verschwunden und durch eine andere ersetzt worden. Es sind die afrikanischen und — mit einem zu Unrecht verallgemeinernden Begriff — „ozeanisch“ genannten Figuren, die Zweifel weckenan der Lauterkeit des Unternehmens. Es ist nicht zu klären, ob es Arbeiten von Individuen oder Kollektiven sind, und der Versuch der Datierung ist offensichtlich noch nicht einmal unternommen worden. Man hat sie unter die Spotlights gestellt, damit ihre kernige Materialität zum Schrecken der Genießer in Erscheinung trete. Aber was unfreiwillig befördert wird, ist die üble Ahnung, daß eine gewisse Pracht unbekannten Ursprungs ohne eine gewisse Unnachsichtigkeit in den Zentren der Geldzirkulation nicht zu haben ist. Der Eindruck, die Sammlung sei eine Sammlung von Trophäen, färbt auf die westlichen Kunstwerke ab.

Wenn man – zum Beispiel – durch eine Villengegend fährt, macht man sich ja seine Gedanken, wie es dem Einzelnen, Verbänden oder Klans gelungen ist, den Reichtum zu akkumulieren, den sie zur Schau stellen oder verbergen. Wo, fragt man sich angesichts von Werten, die zwei Dutzend Zahnärzte in ihrem Leben nicht anhäufen könnten, liegt der Zugang zu jenem labyrinthischen Bezirk, der die Freihandelszone zwischen Gebrauchs- und Tauschwert darstellt? Ist es so etwas wie ein Betrug der Künstler am gesellschaftlichen Reichtum dieses Jahrhunderts, an dem sie zwecks Verschleierung ihre Händler beteiligen; ist es eher ein struktureller Vorsprung am Markt – wie bei Softwareherstellern – oder die Kombination von Voraussicht und Rigidität, wie bei der Immobilienspekulation? Ist es der schwejksche Sieg über die Steuer, oder der routinemäßige Coup am Zoll?

Im Katalog der Sammlung Beyeler werden zwei Episoden kolportiert, die ansatzweise Auskunft geben – oder vielleicht eher suggerieren – wie Beyeler einkaufte. Die eine Episode zeigt ihn im Haus des Industriellen David G. Thompson in Pittsburgh, PA, wie er mit Thompson einen Deal abschließt, der einhundert Bilder von Paul Klee in Beyelers (Händler-) Besitz bringt. Dabei versucht Thompson, nachdem der Rahmen des Deals angeblich abgesprochen war, Beyeler einen Kandinsky abzunötigen, der bekanntlich bei den Beyelers zu Hause hängt (und später, schwer nachvollziehbar, warum und wie, das Kriterien-Nadelöhr der Sammlung bildet). Die andere Episode zeigt ihn zu Besuch bei Picasso, wobei der Maler dem Händler eine Kammer öffnet, von der unterstellt wird, es handele sich um den Bunker mit den Meisterwerken: „Wählen Sie!“, soll Picasso gesagt haben. Von 45 von Beyeler gewählten Werken habe der Maler „am andern Tag 19 wieder zurückgestellt“.

Beide, Thompson und Picasso, werden so vorgeführt, als grenze ihre Art, Geschäfte zu führen, nahezu an Betrug; oder als habe ihre Zuneigung zu Beyeler (als Kenner, als Händler oder beides) einen unlauteren Strang, oder zumindest etwas Wankelmütiges. Wer, fragt man sich, hat den Händler so dargestellt: in peinlicher Diskretion – zwar vom Eßzimmertisch aus, aber mit den Augen des Patriarchen? Im Inhaltsverzeichnis des Katalogs wurde in der Kolumne mit den Autorennamen nichts eingetragen, und im Impressum heißt es schwachsinnigerweise, der „Einleitungstext wurde dem Ausstellungskatalog Colección Beyeler Centro de Arte Reina Sofia, Madrid, 1989, entnommen“: Ja, hat Beyeler ihn denn selbst geschrieben, seine Frau, seine Nichte? Hätte man nicht noch ergänzen können: „wurde dankenswerterweise honorarfrei entnommen...“?

Was trotz oder wegen der höflichst referierten Kamellen unklar bleibt, ist, wie Beyeler etwa an ein so monumental wichtiges Bild der Moderne kommt wie Monets dreiteiligen „Seerosenweiher“ (um 1917-20); vor dem man sich am besten gegen 18 Uhr in der Nationalgalerie, bei sonnigem Wetter, einfindet, um zu erleben, wie die Sonnenstrahlen durch die Jalousie am Boden hochsteigen, vor dem Bild haltmachen, und indirekt von unten die unwahrscheinlich sanften Blaus und Grüns des Sechsmeterbildes zum Leuchten bringen.

Zwar ist die „Provenienz“ der Werke verzeichnet: „Der Seerosenweiher“ gehörte zunächst Michel Monet, Giverny, dann Katja Granoff, Paris, und ist seit 1977 in der Sammlung Beyeler. Aber die eigentliche Geschichte hinter der Geschichte ist die Schwäche der öffentlichen Sammlungen und Museen, die mit Beyeler offensichtlich nicht konkurrieren konnten. Nun wären die Sammlungen von Stockholm bis Madrid wahrscheinlich glücklich, mit Beyeler-Versatzstücken ihre Sammlungen aufzuforsten. Aber das goldene Schildchen am Rahmen ist nicht so verlockend für die späten Stifter wie ein eigenes Museum vor der Haustür; keine Frage, daß das, was sie zu bieten haben, insbesondere dann ein Museum abgibt, wenn der Bau auf die Arbeiten zugeschnitten wird: eine kleine Gruppe von Dubuffets zeigt auf rasante Weise das art brut goes Pop (1947-76); die Gemäldegruppe von Francis Bacon konkretisiert die Schmerzen der fleischlichen Existenz am Freund George Dyer (1966-71).

Die Nationalgalerie – die Kuratoren unter Druck von einem mächtigen und erfolgshungrigen „Verein der Freunde“ – glaubt vielleicht, mit einer Ausstellung namens „Wege der Moderne“ nicht viel falsch machen zu können. Nur hat man sich die wesentlichen Fragen an eine Ausstellung oder jedes andere Projekt (Wer, wie, was, wieso, weshalb, warum...?“) irgendwie vergessen zu stellen. Man hat die Bilder gehängt, als wären es die eigenen, oder als handele es sich um Demonstrationsobjekte für einen Volkshochschulkurs. Die Lichtdramaturgie ist platt und versagt an entscheidenden Stellen: die drei Farbfelder von Mark Rothko hängen an einer Wand, die rechts und links von Gegenlicht überstrahlt ist; ausgerechnet das Giacometti- Ensemble ist nur von einer Seite aus einzusehen – wie im Theater, nur daß die Skulpturen nicht daran denken sich umzudrehen – und der notwendig dämmrige Raum mit den Zeichnungen ist als Kammer links vom Eingang eine pädagogische Sackgasse: Dunkelheit muß in der Dramaturgie einer Ausstellung so eingesetzt werden, daß sie als Erlösung erscheint, nicht als leidiger Kompromiß.

Kurz: die Sammlung Beyeler mag ein mustergültiges Implantat sein für Renzo Pianos Bau, der das Riehener Katzenmuseum mit gewisser Wahrscheinlichkeit verdrängen wird. Aber was Berlin angeht, kann von einer Ausstellung kaum die Rede sein. Es ist eher ein Versuch, daß Gute, Wahre und Schöne im Handstreich triumphieren zu lassen. Wie man anstelle der Trophäen tatsächlich einen Sammler zeigen könnte, ist nicht einmal in Ansätzen zu ahnen.

„Wege der Moderne. Die Sammlung Beyeler“. In der Neuen Nationalgalerie, Berlin. Katalog, 286 Seiten, 39 DM

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