Geldanlage mit Zacken

■ In Berliner Auktionshäusern werden Briefmarken wie Aktien gehandelt / Sammler spekulieren auf Wertsteigerung

Als ich zehn Jahre alt war, bekam ich mein erstes Briefmarkenalbum geschenkt. Fortan fehlte jeder Art von Postsendung, egal wem sie im engeren Familienkreis gehörte, die rechte obere Ecke. Über den Wert der Marken wußte ich stets genauestens Bescheid, denn der aktuelle Briefmarkenkatalog lag regelmäßig unterm Weihnachtsbaum und war immer dabei, wenn ich nachts im Schein meiner Taschenlampe heimlich die Marken sortierte.

Mit dem ersten Liebeskummer dann nahm das Interesse an Briefmarken schlagartig ab, und wenn mir von da an irgendein Jüngling seine Briefmarkensammlung zeigen wollte, hatte der garantiert anderes im Sinn, als fromme Wohlfahrtsmarken auszutauschen. Später landeten die verstaubten Alben dann im Besitz meiner zehnjährigen Cousine, und das Spiel wiederholte sich.

Daß es beim Sammeln von Briefmarken auch um Geld geht, hatte ich als Kind natürlich gleich gemerkt, und daß sich deshalb auch Erwachsene dafür interessieren, liegt damit fast auf der Hand. Briefmarken eignen sich hervorragend als Kapitalanlage, was immer schon ein wesentlicher Grund für das Sammeln an sich gewesen ist. Der Berliner Briefmarkenauktionator Walter Kruschel kann sich zum Beispiel kaum vorstellen, „daß jemand noch Marken sammelt, ohne daß er dabei an eine Geldanlage denkt“. Für ihn ist der Prototyp des guten, alten Sammlers, der nicht unbedingt nach Gewinn strebt, so gut wie ausgestorben. Briefmarken zu sammeln verbindet im günstigsten Fall, ähnlich wie beim Sammeln von Gemälden oder Antiquitäten, die Liebe zum begehrten Objekt mit der Möglichkeit, in einem relativ sicheren Geschäft zu investieren.

Briefmarken sammeln heißt für die Insider des Markengeschäfts jedoch noch lange nicht, daß dabei auch gleich eine Sammlung entsteht. Für Stephan Mylius von der Briefmarken-Auktionshaus GmbH in Berlin fängt eine Sammlung erst an interessant zu werden, wenn ihr Wert um die tausend Mark beträgt. Anfänger mit Einsteckbuch für lose Briefmarken sind für ihn keine Kunden. Briefmarken aus dem täglichen Umlauf oder der letzten dreißig Jahre sind sowieso Kinderkram, wie die Branche einstimmig befindet. Voll im Trend dagegen liegen Marken der Nachkriegszeit bis 1958, am besten mit kompletter Frankatur und Briefumschlag. „Der Verkauf von Ganzstücken, also mit Brief und Frankatur, ist heute Tendenz, weil man mehr über die Herkunft und Zeit, aus der die Marke stammt, erfährt“, so Mylius. Eine große Rolle spielt die Qualität der Marke. Wurde sie x-mal restauriert oder geklebt, ist der Wert gleich Null. Möglichst einwandfreie Ware dagegen ist begehrt.

„Briefmarken sind wie Aktien“, sagt auch der Berliner Briefmarkenhändler Peter Barwinski. „Sammler spekulieren auf Wertsteigerung.“ Nicht selten passierte es, daß ihm Stammkunden eine Fehlliste ihrer Sammlung geben, und er monatlich für eine bestimmte Summe Briefmarken zusammenstellt, vorausgesetzt, die fehlenden Exemplare werden ihm angeboten. Wer sichergehen möchte, daß ihm beim Ankauf keine Fälschungen unterlaufen, kann sich ein Echtheitszertifikat von einem Briefmarken-Gutachter ausstellen lassen. Der Preis für ein solches Gutachten muß allerdings vom Sammler bezahlt werden und richtet sich nach dem Wert der Briefmarke. Für Seriosität in der Briefmarkenbranche bürgt auch die Mitgliedschaft im Händlerverband APHV. Wer als Briefmarkenhändler wiederholt Kunden übers Ohr haut, fliegt dort in der Regel raus.

Und wo kommen die Marken her, die beim Händler oder Auktionator landen? „In der Regel von privaten Anbietern, manchmal auch von Familienangehörigen eines verstorbenen Sammlers“, spricht Walter Kruschel für die Branche. Edle Stücke wie jene Frankatur aus Baden aus dem Jahr 1853, die in seinem Auktionshaus für sage und schreibe 650.000 Mark den Besitzer wechselte, sind selten und schon gar nicht – wie so oft beschrieben – irgendwann zufällig auf einem Dachboden entdeckt worden. Meistens wurde auch schon vorher in eine wertvolle Marke investiert, um sie dann nach Jahren mit Gewinn zu verkaufen. Fazit: Wertvolle Briefmarken steigen meistens im Wert, sind deshalb eine gute Geldanlage und kommen garantiert nicht mit der Post. Elvira Schäfer