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Doku-Hop

■ „Lost in Music“, die Zweite: HipHop in Deutschland. Heute, 21.10 Uhr auf 3sat

Am Anfang war Afrika Bambaataa. Dann kamen Grandmaster Flash, die Rocksteady Crew, Public Enemy, Run DMC, NWA, Ice-T, Ice Cube, Kriss Kross, Naughty By Nature – eine beachtliche Latte von Namen, die wie in den Credits einer HipHop-Platte ablaufen, bis die unendliche Geschichte des Rap endlich beim Heute angelangt ist – und beim Gegenstand der Sendung: HipHop in Deutschland, das vergleichsweise unbekannte Wesen.

„HipHop ist eine Kultur, die man leben muß“, stellt Torch von der Heidelberger Gruppe Advanced Chemistry gleich mal klar, bevor die Kamera sich auf den Weg macht, holprig, investigativ sozusagen. Schon wird fleißig draufgehalten auf Hände, die Platten hin- und herdrehen, auf rappende Münder und buntbesprühte U-Bahn-Züge; gerne klebt die Kamera auch am viereckigen Hinterkopf von Torch, der, schnaubend wie ein wildes Tier, ein romantisch verwahrlostes Bahngelände sondiert.

Aha, Großstadtdschungel auch hierzulande. Ganz frei von der üblichen Street-Mythen-Kolportage ist „Hip Hop Hooray“, die zweite Folge des bereits preisdekorierten Musikmagazins „Lost In Music“ auf 3sat, nicht – obwohl man sich insgesamt dem Gedanken der Aufklärung verpflichtet fühlt. Anders als in der Auftaktsendung (zum Thema „Tekkno“), die etwas verzweifelt die Videoclip-Ästhetik mit ihren eigenen Mitteln zu schlagen versuchte, steht diesmal ein dokumentarischer Approach im Vordergrund. Organisator und Hauptmacher Christoph Dreher hat sich auf den diversen Szenen umgesehen, berichtet aus Heidelberg, Bielefeld, Hamburg und Berlin, wo die S.W.A.T.-Posse im Jugendclub „Die Insel“ eine – Großstadt hin oder her – eher idyllische Operationsbasis gefunden hat.

„HipHop in Deutschland ist eine einzige große Familie“, sagt denn auch Cora E, ebenfalls Heidelberg. Die Szene ist vernetzt, man kennt sich und trifft sich immer wieder auf partyähnlichen Jams, um den guten Groove zu pflegen und die gerade nicht anwesende Verwandtschaft durchzunehmen. Alles nicht so ernst, aber doch am US-amerikanischen Vorbild geschult: HipHopper verstehen sich als Chronisten ihrer Vorstadt, und auch wenn manche Aktion nach purem Party-Hooliganismus aussieht, geht es doch immer auch darum, einen – O-Ton – „Pfad zur eigen Geschichte zu finden“.

Das trifft's, weil es zugleich das Konzept der Sendung auf den Punkt bringt. In Bildern, die in vielem an Arbeiten der Medienwerkstätten aus den achtziger Jahren erinnern, begibt sich Dreher auf die Suche nach einer verlorenen Gegenöffentlichkeit: Afro-Deutsche rappen über ihre Situation im neuen Deutschland, und auch sonst kommen vor allem unmittelbar Beteiligte, Betroffene eben, zu Wort. Eine gewisse Naivität wird dabei wohlwollend registriert, wird sie doch als aufkeimendes Geschichtsbewußtsein verstanden. Rührend die Szene, in der Torch als Heidelberger B-Boy fast ehrfürchtig erzählt, wie Afrika Bambaataa damals in die Bronx kam, den Verzicht auf Drogen predigte und böse Streetgang-Energie in positive Tanzvibes auflöste.

Die Ehrfurcht vor HipHop als letztem Mohikaner einer halbwegs integren Subkultur ist es auch, die „Hip Hop Hooray“ dann doch nicht über einen anschaulichen und insgesamt korrekten Doku- Remix der gegenwärtigen Szene hinauskommen läßt. Man erfährt, daß Engagement für die eigenen Belange Sinn macht, man kann sehen, warum Advanced Chemistry schon eine tolle Band sind, aber klarzumachen, wie die überschaubaren Community- und Posse-Strukturen sich zur zunehmenden Kommerzialisierung der Gemeinde verhalten und wo deutscher HipHop seinen eigen Mythen aufsitzt, bleibt, wie sagt man? – einer zukünftigen HipHop-Geschichtsschreibung vorbehalten. Und so (bitte im aktuellen Fastfreestyleremix vorstellen) seh'n wir am Ende auch hier wieder betroffen den Vorhang zu – und die meisten Fragen offen. Thomas Groß

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