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Astrein: Gitarre und Gedicht

■ "Wenn Gedanken auf Reisen gehen ..." mit Eddy Winkelmann im Schmidt

im Schmidt

Wer Winkelmann heißt, aus der Hamburger Gegend kommt und sich dem norddeutschen Kulturpublikum stellen will, wird natürlich an einem hohen Standard gemessen: Schon Filmemacher Jan Schütte schickte einen gleichnamigen Helden in Winkelmanns Reisen übers platte Land. Sein Winkelmann war ein rühriger, aber zeitlebens erfolgloser Shampoovertreter.

Eddy Winkelmann ist ein Winkelmann anderen Kalibers: 1954 in Wilhelmsburg geboren, Feinmechaniker und Offsetdrucker gelernt, entdeckte er kürzlich seine musische Ader. Es begann mit der Schmidt Tresenshow, es folgten Auftritte in der Mitternachtsshow, sein erstes Soloprogramm So kann's gehn war von Erfolg gekrönt. Heute steht Winkelmann für zwölf volle Tage als Haupt-Act auf der Bühne. Seine leibliche Hülle geht auf Tournee, durch sein neues Programm schickt der sympathische Mann mit der Gitarre jetzt seinen Geist: Wenn Gedanken auf die Reise gehen.

Im gutgefüllten Schmidt tost der Applaus. Schon nach dem zweiten Stück raunt jemand: „Das ist wirklich gut“. Der Tischnachbar bekräftigt „Ja, astrein“. Wem jetzt einfällt, daß er das Wort „astrein“ zum letzten Mal 1978 gehört hat, liegt goldrichtig: Eddy und sein Publikum katapultieren uns gut 15 Jahre zurück. Der „Geschichtenerzähler mit und ohne Gitarre“ (Eddy über Eddy) erinnert an Reinhard Mey, Peter Maffay und an Otto Waalkes.

Er macht wirklich hübsche Rockmusik, mal in Richtung Chanson, mal Richtung Blues und dazu ehrliche Texte mit echtem Inhalt. Sie erzählen von den kleinen Tücken des Alltages – da kann man lachen – und von den anderen Problemen – da kann es schon mal ernster werden. Kinderhochleistungssport und Medienkritik werden nicht ausge-

1lassen.

Im Grunde verrät Eddys Outfit schon alles: ganz in schwarz ist er gekommen, aber darüber hat er ein buntes Hemd geworfen. Die Lage ist ernst, aber wir dürfen noch lachen. Eddy jedenfalls lächelt immer und gerne etwas lauter über die eigenen Pointen. Die im übrigen nicht schlecht sind: In seinen lyri-

1schen Einlagen verrät er gar Ringelnatzsche Qualitäten. Leider trägt er sie in einer Haltung vor, die jedesmal „Achtung, Gedicht!“ brüllt.

Was will der Mann? „Melodien, die Gänsehaut machen“. Kinderlose Frauen über dreißig müssen ihm hoffnungslos verfallen. Umweht vom „Geruch von Scampis und Abenteuer“ bleibt er ganz der

1sanfte Charmeur. Dabei kann er auch anders und Highlights sollen hier keinesfalls verschwiegen werden: „Ich weiß nicht mehr was wichtig ist / ich weiß nicht mehr was zählt / Starb die Kultur nun plötzlich / oder hat sie sich gequält?“ Dies ist der Weg in die 90er, Eddy. Christiane Kühl

Schmidt Theater, bis 30. Mai

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