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Laufen ist irgendwie wie richtiges Leben

■ Sportstudenten fertigten Marathonzeitung für kommenden Sonntag / »23. 5. 93« soll Blicke auf das Wesentliche am Rande lenken

Bunt ist der Titel und irgendwie multikulturell. Schwarze und weiße Menschen laufen der LeserIn, einträchtig schwitzend, unterm Fernsehturm entgegen. Ach ja, Sonntag ist wieder Hanse-Marathon, zum achten Mal schon. Ein Magazin dazu, mit dem programmatischen Titel „23. 5. 93“ bestückt, feiert diesjährige Premiere.

Ein ganzes Heft zur Kommentierung des, in seiner Freud- und Lustlosigkeit schon klassisch anmutenden Unterfangens kann doch nur etwas für masochistische Insider sein? Weit gefehlt.

Schon das Editorial („Ab ins Heft“) verrät, auf wessen Seite das Herz der MacherInnen schlägt. Es geht um die Aufmerksamkeit dem Abseitigen gegenüber, dem haarscharf Danebenliegenden, den Dingen eben, die uns insgeheim berühren, sei es bei der Zahnärztin, beim Friseur oder beim Autofahren. Jene Ereignisse eben, die aus einem Ganzen erst wesentlich mehr machen als die Summe ( beim hanseatischen Massenlauf immerhin 8000) seiner Teile. 15 SportstudentInnen des Fachbereichs Sportwissenschaft der Universität Hamburg, Abteilung Medien, zimmerten das 32-Seiten-Heft in sechs Wochen zusammen. Arbeitswerkzeug war, statt des Hammers, jedoch eher ein Feinhobel.

Die allzu bekannte Auflistung verbrauchter Wasserschwämme, Bananenschalen und Mullbinden entfällt. Statt dessen entstanden filigrane Geschichten, in denen von Ahnherren der Journalisten erzählt wird, die den Marathon gebären halfen („Die Balkonlegende“), von den Leiden der Helfer am Wegesrand („Mundgerecht entblättert“), den AnwohnerInnen, die genervt

1mitansehen müssen, wie urinierende Marathonis ihren Vorgarten mißbrauchen („Schlachtgesänge“), LäuferInnen in der U-Bahn („Alkohol am Oberschenkel“) und schließlich auch von denen, die halbverrichteter Dinge kapitulieren müssen („Schwaches Fleisch“).

1Platz ist ebenfalls für die Entmystifizierung der ekstase- und heilbringenden Wirkung der Endorphine („Beleidigte Junkies“), für die Klärung der Kardinalfrage: Warum laufen die eigentlich? und für ein Interview mit dem Organisator des Spektakels, von dem wir unter an-

1derem erfahren, daß er nicht nur Polizeibeamter, sondern auch Allergiker (Birke und Linde) ist. Dekorativ unterstrichen werden die Berichte mit vielen Fotos, die zu rufen scheinen: Ja, hier ist durchaus Tragik mit im Lauf, Laufen ist Leben, zumindest ein bißchen. Wer

1das nicht sofort kapiert, bekommt durch die Zeitung Lebenshilfe.

Das Ganze also ist, die geneigte LeserIn wird es bereits ahnen, eine ungewöhnliche Portion Unterhaltung mit dem Fazit: Beim Laufen geht es fast wie im richtigen Le-

ben zu. Helen Harper

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