piwik no script img

„Die CSU hat ihre Schlüsselposition verloren“

■ Interview mit Alf Mintzel, CSU-Spezialist und Professor für Politologie in Passau

taz: Die Auseinandersetzung zwischen Waigel und Stoiber wird ja zumindest von einem Lager in der CSU als Richtungsstreit interpretiert. Stimmen Sie zu?

Alf Mintzel: Es geht eher um unterschiedliche Akzente.

Zum Beispiel?

Stoiber ist zwar eine Mischung aus bayerischer Tradition und Modernität, aber dazu kommt eine sehr schroffe Law-and-order-Linie in zentralen innenpolitischen Fragen. Härte, Disziplin, kompromißlose Haltung, das sind die Stichworte, die Stoiber stimuliert. Während Waigel doch in seiner Erscheinung eher ein moderater Konservativer ist.

Stimmt es, daß für die CSU die bayerischen Wahlen nur rechts von der Mitte zu gewinnen sind?

Aus allen Untersuchungen geht hervor, daß in Bayern ein rechtsradikales Potential in zweistelliger Prozentgröße vorhanden ist. Strauß war die überregionale Integrationsfigur für diese Wähler am rechten und am Rechtsaußen- Rand der CSU. Nach seinem Tod ist dieses Potential vaterlos geworden. Es hat sich zeitweilig dem Rechtspopulisten Schönhuber in die Arme geworfen. Die CSU tut jetzt alles, um das rechte Potential zu binden. Und da ist der Stoiber die Figur, der man diese Aufgabe eher zutraut.

Ihrer Meinung nach hätte die CSU also ein rationales Interesse, Stoiber zum Ministerpräsidenten zu machen?

Ja, alles läuft jetzt auf Stoiber zu.

Wenn Stoiber die Auseinandersetzung gewinnt: Wie sehen Sie die Rückwirkungen auf die Stellung der CSU im Bund? Besteht die Gefahr, daß sie sich zu einer regionalen Partei zurückentwickeln wird?

Es gibt jetzt drei Selbstbilder der CSU: das der bayerischen Partei, das der nur in einem Land antretenden aber in Bonn einflußreichen Bundespartei und das der europäischen Regionalpartei. Die bayerische Regionalpartei hatte sich immer schon identifiziert mit der bayerischen Staatstradition, mit bayerischer politischer Kultur. Sie hatte aber zugleich Bundescharakter und operierte mit diesem Doppelgesicht: Landespartei und Bundespartei. Zwischen diesen beiden Polen gab es stets ein Spannungsverhältnis und es gab immer getrennte Karrierewege. Jetzt gibt es noch das dritte Selbstbild, das der europäischen Regionalpartei. Es könnte sein, daß die CSU aufgrund der neuen Kräfteverhältnisse in Deutschland nicht mehr ins Europaparlament kommt. Wenn die CSU bei der Europawahl 1994 eine Schlappe erlebt, dann ist sie auch in ihrer „Doppelfunktion“ als bayerische Partei mit Bundesgeltung gefährdet.

Werden diese Gefahren so in der CSU wahrgenommen?

Die CSU-Spitzenleute waren immer strategische Denker. Allerdings ist jetzt, das heißt seit 1990, etwas ins Rutschen gekommen, das sich offensichtlich dem strategischem Kalkül entzieht.

Was meinen Sie damit?

Bis 1990 waren die politischen Parameter klar. Doch dann kam die Vereinigung. Das heißt, daß die ganzen institutionellen Voraussetzungen weggefallen sind, zum Beispiel Kreuth, wo die Parität mit der CDU erstritten worden ist. Die CSU-Anteile in den Bundesorganen, der Bundesversammlung, im Bundesparlament haben sich vermindert. Die CSU hat ihre operative Schlüsselposition in Bonn verloren.

Wie reagiert die Funktionärsbasis auf den Nachfolgestreit?

Die Funktionäre sind jetzt einer gänzlich ungewohnten Belastung ausgesetzt. Die letzte Auseinandersetzung um den Posten des Ministerpräsidenten hatte es 1962 gegeben. Aus dem Kampf von Strauß gegen Hundhammer ist ein Dritter, Alfons Goppel, als Sieger hervorgegangen. Damals, in den fünfziger und sechziger Jahren, ging es noch um die Figur des Landesvaters. Aber mittlerweile hat sich auch in Bayern das Klima gewandelt. So eine politische Stilfigur wie der Volksmonarch läßt sich heute in Bayern auch nicht mehr effizient einsetzen. Bayern hat sich verändert, es wird ein ganz normale High-Tech-Industriegesellschaft mit einer ganz normalen Bürgergesellschaft.

Ist die CSU noch die modernste der Volksparteien, als die Sie sie einmal charakterisiert haben?

Das würde ich jetzt nicht mehr sagen. Die Funktionärselite muß ihre Rolle in dem bayerischen Machtdreieck: Staat – Partei – Wirtschaft neu überdenken. Das alte Personal taugt seit spätestens 1990 nichts mehr. Schauen Sie sich diesen Erwin Huber an, das ist doch kein Mann, das ist ein Baby- Face, der die Bürger verschreckt und die Volkspartei zur Auflösung bringt. Und der Streibl, das ist ja ein Oberammergau-Bayer, wie er im Buche steht, das kann man ja nicht aushalten.

Sehen Sie irgendeine Chance dafür, daß die CSU bei den nächsten Wahlen abgelöst wird?

Wir haben in Bayern eine strukturelle Hegemonie der CSU, die auch bei starken Verschleißerscheinungen fortdauern wird. Wir haben hier einen sehr starken Klientelismus, diese informellen Machtverhältnisse, die auf Tausch und Vergünstigungen beruhen. In diesem System steckt die CSU tief drin. Bayern in einen modernen Industriestaat zu verwandeln war nur möglich, indem die Eliten aus Wirtschaft, Politik und Staat aufs engste miteinander kooperierten. Das ging nicht ohne Amigo-System.

Aber könnte es nicht bei den nächsten Landtagswahlen eine Revolte gegen den Klientelismus geben?

Nein. Die Formel heißt nicht mehr 50 plus x, sondern 45 plus x. Aber das ist immer noch eine satte Mehrheit. Da muß man Obacht geben, daß nicht der Wunsch der Vater des Gedankens wird. Außerdem: Ich habe die SPD lange beobachtet. Sie ist ein Stück Fleisch vom Fleisch dieses konservativen Bayerns. Die beißen zu wenig. Der Glotz ist ein intellektueller Urbaner, aber der greift weder voll ins bürgerliche städtische Lager noch beherrscht er das Geschäft des Tauschens, er ist klientel-unfähig. Und die FDP ist auch zu brav, sie ist ausgedörrt nach dem Rückzug von Hildegard Hamm-Brücher. In der Opposition ist kein wirkliches Profil da, die Renate Schmidt hat eher einen Bonus als sympathische Erscheinung. Sie hat Eloquenz, sie hat auch taktisches Geschick, sie integriert gut. Aber die Machtverhältnisse ...

Also müssen Sie in Bayern mit Stoiber ins Jahr 2000?

Es sieht so aus.

Ich danke Ihnen für das Gespräch. Interview: Christian Semler

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen