: Wieder alles "ganz toll"
■ Spielplan 93/94 der Kammerspiele vorgestellt / Alles wie es war
vorgestellt / Alles wie es war
Um seinen Optimismus ist Stephan Barbarino wirklich zu beneiden. Trotz einer Platzausnutzung von unter 50 Prozent in seiner ersten Spielzeit, trotz vieler Flops und heftiger Kritikerschelte am Programm der „Juxbude Kammerspiele“, trotz eines erheblichen Defizits, zu dessen Höhe Barbarino auf seiner Jahrespressekonferenz aber nicht Stellung nehmen wollte (Zahlen sind im Umlauf zwischen 300 000 und einer Million Mark) sind die meisten Dinge, über die er spricht „ganz toll“: Das Programm für die nächste Spielzeit, sein Team, das Engagement seiner bei-
1den Mitgesellschafter und die „absolute Zukunftsperspektive“ der neuen Kammerspiele.
Zwar bezeichnet Barbarino sein Theater nach zehn Premieren selbst noch als „Geheimtip“, aber Schuld daran haben nur „Strukturprobleme“. Etwa der lange Schatten des Lingen-Konkurses, seine mangelhafte finanzielle Ausstattung, die fehlende Anbindung an Besucherorganisationen wie der Volksbühne und „Unbill, die uns aus der Stadt entgegenschlägt.“ Nur an einem liegt es scheinbar nie: An Stephan Barbarinos Spielplan.
Um auch die letzten Hoffnungen zu zerstreuen, es würden an der Hartungstraße mal Kammerspiele gespielt, neue Autoren entdeckt, die sich radikal mit unserer Zeit auseinandersetzen, oder wirkliche Wagnisse in Regie oder Konzeption geboten, hat Barbarino sein neues Programm noch mehr mit leichter Kost bestückt, die zudem zukünftig en suite gespielt wird. Erfolge des letzten Jahres werden fortgeschrieben: Etwa eine weitere Mini-Mozart-Oper des Music Theatre London, diesmal Cosi Fan Tutte, oder eine neuerliche Profanisierung von Welttheater, diesmal Faust in der Regie von Nick Broadhurst von ebigem Music Theatre. Eine „Jazzoper“ nach einer Vorlage des E.T.- Erfinders William Kotzwinkle, Doktor Ratte, über rebellierende Versuchstiere und Ulrich Wildgruber als tauber Beethoven in Sanftwut oder der Ohrenmaschinist von Gert Jonke werden sicherlich ebenfalls
1das ersehnte Publikum locken.
Schnitzlers Reigen, ursprünglich noch für diese Saison geplant, und H.C. Artmanns Bearbeitung eines jiddischen Films von Joseph Green A Brivele der Mamen von 1938 komplettieren das Premierenprogramm. Als Gastspiele kehren unter anderem die beiden Musical Theatre-Produktionen Figaro und Don Giovanni wieder zurück und eine projektierte Josephine-Baker-Revue in der Ausstattung des Vanity Fair-Redakteurs Michael Roberts zeigt abschließend, wo es in den Kammerspielen auch im nächsten Jahr langgeht. Kritische Reflexion und zeitbezogene Diskurse finden hier höchstens im Randprogramm mal statt. Für ein „junges, dynamisches Team“ ist das einfach ein bißchen wenig. Till Briegleb
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen