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Unsere Leichen leben noch

VfL Bochum–1. FC Köln 0:0 / Beim „wichtigsten Spiel der Vereinsgeschichte“ machten die Bochumer eines ihrer schlechtesten  ■ Von Christoph Biermann

Der Abgang vollzog sich fast geräuschlos. Als Schiedsrichter Aron Schmidhuber um 17.18 Uhr zum letzten Mal in seine Pfeife blies, schauten die VfL-Fans unter den 41.021 Zuschauern im ausverkauften Bochumer Ruhrstadion noch einmal konsterniert und gingen dann wortlos. Unvorstellbar eigentlich, daß so viele Menschen auf so engem Raum so still sein können. Keine Pfiffe, keine Rufe, nicht einmal Gespräche zwischen denen, die gemeinsam ins Stadion gekommen waren. Während am anderen Ende des Stadions die mehr als zehntausend mitgereisten Kölner Fans den 0:0-Sieg ihrer Mannschaft feierten, traute sich unter den Anhängern des VfL niemand auszusprechen, was jeder dachte: Das war der Abstieg!

Was hätte man auch noch sagen sollen? Kein ungerechter Fußballgott hatte den Bochumern die Umwandlung bester Torchancen in Tore verwehrt, kein finstrer Mann in Schwarz hatte sie bei seinen Entscheidungen bös' benachteiligt, kein fieser Gegner hatte ihr Bemühen hinterrücks niedergetreten. Und gewollt hatten sie auch. Doch im 750. Bundesligaspiel, dem „wichtigsten Spiel der Vereinsgeschichte“, wie es von vielen Seiten apostrophiert worden war, hatten sie ihr schlechtestes Spiel der Rückrunde gemacht und waren dem Gegner deutlich unterlegen.

Von zwei mäßigen Teams sah allein der 1.FC Köln wie eine richtige Fußballmannschaft aus. Seit man sich dort vor vier Wochen doch entschlossen hat, mit Morten Olsen einen richtigen Trainer zu engagieren und Possenreißer Wolfgang Jerat ins zweite Glied zurückzustellen, hat das Spiel der Mannschaft auch wieder einen Umriß gewonnen. Olsen hatte Wosz, Wegmann und Aden in Manndeckung nehmen lassen und darüber hinaus mit der Aufforderung, schon früh anzugreifen, dafür gesorgt, daß das Spiel immer wieder in die Bochumer Hälfte gedrängt wurde. Die Kölner Schwächen im eigenen Strafraum wurden nur zu Spielbeginn aufgedeckt, und am Ende waren es fast eine Handvoll guter Tormöglichkeiten für den 1.FC Köln, die Anlaß gaben, von einem verpaßten Sieg zu sprechen.Aber die rheinische Sammlungsbewegung in der Westkurve feierte trotzdem. Unter Führung der heimischen Boulevardzeitung übrigens, die sie unter dem Slogan „Rettet den FC“ mit Freikarten und Zugtickets ausgestattet hatte. Wer dahinter eine schnöde Rettung ihres auflagesteigernden Lieblingsthemas vermutet, liegt aber gänzlich falsch. Besagte Zeitung macht sich nämlich in großem Maße um die Brauchtumspflege der kölschen Ethnie verdient. Sie kämpft alle Zeit pro Bono, nämlich gegen die Trennung der Bläck Föss, und contra Malum: „Willy- Millowitsch-Denkmal besudelt!“ Und deshalb hätte sie ihre Geschichten über die „Super-Fans“ des „Super-FC“ auch hart verdient. – Doch Morten Olsen wollte von all dem nichts wissen. Ein laffes Lob der Spieler, kein Wort für die Fans. Kurz: „Das Spiel interessiert mich nicht mehr.“ Er sorgte sich viel mehr um seinen Landsmann Henrik Andersen, der fünfzehn Minuten vor Schluß mit einer Bahre vom Feld getragen wurde. Nach seinem Kniescheibenbruch beim EM-Finale gegen Deutschland hatte der sich, gerade wieder in die Mannschaft zurückgekehrt, erneut eine schwere Knieverletzung zugezogen. Mit bislang nicht zu übersehenden Folgen.Olsen mochte sich auch nicht mehr so recht über die Chancen des nun wahrscheinlichen Klassenerhalts für den 1.FC Köln äußern. So blieb die Abstiegskampfarithmetik Bochums Trainer Gelsdorf vorbehalten. Vor Wochen hatte er festgestellt: „Wir liegen eigentlich schon im Sarg, aber der Deckel ist noch nicht zu.“ Und weil Bochums Leichen länger leben, mochte er diesmal noch immer kein Schlußwort sprechen. „Wir stellen den Spielbetrieb nicht ein. Wir fahren auch noch nach München.“ Und schwang sich lächelnd in gleichsam Herbergersche Höhen auf, womit er selbst den verstummten VfL- Fans Diskussionsstoff für viele Stunden gab: „Es ist halt Fußball.“

1. FC Köln: Illgner - Christofte - Keuler, Baumann - Greiner, Higl, Rudy, Heldt, Andersen (75. Ordenewitz) - Sturm, Uwe Fuchs (81. Nilsen)

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