: Großes Geheimnis Körper
■ Traurig, aber wahr: Regine Fritschi, ehemals Tänzerin bei Kresnik, geht einfach weg / Eine Abschiedsvorstellung
Sie hat zum Beispiel nie einen Dutt gehabt. Oder ein Tutu, also Tüllröckchen. Das waren für sie schon die ersten falschen Zutaten, das hat sie gleich kapiert. Da war sie zwar erst acht und noch zuhause in Zürich, aber durchaus schon auf ihrem Weg. Tanzen war zwar auch Ballett, aber schließlich etwas, was mit innen und außen zu tun hatte. Mit Ausdruck. Die mit Ballettbox kamen und mit ziselierten Köpfchen, das waren meist nicht die, die wirklich tanzen wollten. Oder konnten.
Daß Regine Fritschi nicht nur tanzen wollte, sondern vor allem konnte, war gleich klar. Daß sie auf einmal nicht mehr tanzte, letztes Jahr, das war für uns, ihr Publikum, eine Art Zumutung. Wir haben sie doch alle gleich geliebt! So wie sie tanzte! So vital, berstend vor Spannung, enorm anstrengungslos. Immer wie alles oder nichts. Auch bei Proben: alles oder nichts.
Zum Beispiel die „Meinhof“- Probe, damals, muß man ja heute schon sagen: sie übt an scharfen Eisenstreben mit bloßen Händen so lang Entlanghangeln, bis sogar Kresnik, ebenfalls Berserker, sie abmahnt. Damit die Hände nicht bluten.
Der Bruch mit Hans Kresnik, neun Jahre Lebensgefährte, machte nicht vor der Bühne halt. Als sie sich trennten, hieß das zugleich: Abschied von seinem Tanztheater. Entweder alles oder nichts. In dem Fall also nichts. Nein, sie lügt nicht, keine schlimme Krise. Sie war eben gezwungen zu wachsen. Rauszuwachsen. Bloß worein? Zuerst mal heraus: aus dem Drill und der Unterjochung des Körpers hin zum Nichts, dann zum Lernen von Null an, wie Schauspiel geht. Und jetzt, hoffentlich, zum Loslassen und zur guten Schauspielerin.
Regine Fritschi, grade noch da, eigentlich aber schon wegFoto: Christoph Holzapfel
Heute noch wird sie von Leuten auf der Straße angesprochen, warum sie derart plötzlich weg war von den Tanzbrettern und ob die denn nicht ihr Leben bedeuteten. Diese Bestätigung, also Erfolg, hat ihr durchaus gut getan; aber Regine Fritschi ist einer der seltenen Menschen, die bescheiden sind und von wesentlicheren Dingen angetrieben werden. Etwa davon, unbedingt jenen Weg finden zu wollen, wo der Ausdruck vollkommen ungehemmt fließen und ins Fleisch kommen kann. Wo alles einfach wird, weil es echt ist. Ihr Wichtig
stes.
Sie wird den Weg finden, da bin ich sicher. Zur Not auch mal auf die Schnauze fallen, aber lieber das als nicht zu probieren, wie was geht. Und was das mit dem Leben angeht: den Brettern bleibt sie ja treu; sie geht eben mit dem Schauspiel fremd. Es soll ihr neues Leben werden: denn auch die Sprache beginnt im Körper, jeder Laut klingt und schwingt doch im Körper mit. Verrät sich der Mensch nicht ausschließlich da?
Als sie ziemlich schnell mit dem Tanzen aufhören mußte, da
hatte sie auf einmal keine Sprache mehr zur Verfügung, keinen Ausdruck für ihre Träume, Fantasien und Ideen. Da wurde sie müde. Gut war, nicht mehr dreimal am Tag duschen zu müssen. Aber fast 20 Jahre tägliches Training ist nicht nur Gerüst für die Kunst, sondern auch fürs Leben.
Bei Kresnik hat sie gelernt, auch extrem sein zu können, aggressiv, obwohl sie zuerst besser Opfer konnte. In ihren Rollen ist Regine Fritschi „magischerweise“ oft Themen begegnet, die sie auch im eigenen Leben betroffen haben: bei der Meinhof diese Zerrissenheit zwischen Wirklichkeit und theoretischem Anspruch. Bei Silvia Plath dieses Ringen um Ausdruck, so kraftvoll begonnen, am Ziel lebensmüde. Sie hat sich Abend für Abend eingestimmt mit einer ihrer Gedichtzeilen: „Ich werde meine Toten begraben mit Puppenkäfern“.
Nun geht sie nach Giessen, ausgerechnet. Nein, keine schöne Stadt. Nach Brüssel, New York, Basel, Heidelberg, Bremen eigentlich eine kleine, für sie aber durchaus entscheidende Station: Das erste Engagement als Schauspielerin.
Am wichtigsten wieder: sich fragen, was mach' ich da eigentlich und worum geht's? Was ist der Kern, das Wesen von allem? Um Himmels willen nie wiederholen wollen, was dir letztes Mal gelungen ist. Wenn du von Anfang an ein Ergebnis haben willst, hast du schon verloren.
Jetzt sind erstmal die Koffer dran. Aber, Leute, wir werden ihr fehlen, ehrlich! Sie findet, wir sind ganz schön nett. Also dann. Claudia Kohlhase
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