Gassmanns kühne Thesen

■ Hamburger Forscher will wahren Grund für Elbmarsch-Leukämie entdeckt haben / Spekulationen sollen AKWs aus der Schußlinie bringen

entdeckt haben / Spekulationen sollen AKWs aus der Schußlinie bringen

Vor lauter Aufregung vergaßen die Bediensteten der „Biologischen Anstalt Helgoland“ sogar, die für die MedienvertreterInnen bereitgestellten Thermoskannen mit Kaffee zu füllen. Noch nie hatte die Untersuchungsanstalt des Bonner Forschungsministeriums einen dermaßen großen Presseaufmarsch erlebt. Während das braune Gebräu von der Pressekonferenz unbeachtet in der Küche abkühlte, heizte der Anstalts-Wissenschaftler Günter Gassmann der versammelten Zuhörerschaft mit „sensationellen“ Theorien darüber ein, wie die erhöhte Leukämierate rund um das AKW Krümmel nun wirklich entstanden ist: durch das Ultragift Phosphin.

Gassmann: „Alle Untersuchungen, die sich damit beschäftigen, ob die erhöhte Blutkrebsrate auf einen Atom-Unfall zurückzuführen ist, können gestoppt, die Diskussion in eine andere Richtung gelenkt werden.“ Was sind nun die weltbewegenden Erkenntnisse, mit denen Gassmann die Leukämieursachenforschung umleiten will? Er hat entdeckt, das der Phosphatabkömmling Phosphin entgegen herrschender Wissenschaftsmeinung in freier Natur vorkommt, etwa in erheblicher Mikrogramm-Konzentration im Hamburger Hafenschlick.

Weiterhin hat der 54jährige Forscher entdeckt, daß Phosphin überall dort entsteht, wo es zu einer erhöhten Methanbildung kommt. Und da Methan sich am liebsten in Süßwasserfeuchtgebieten wie der Elbmarsch bildet, müßte dort auch Phosphin in erheblichem Maße vorkommen. Und da es die — wenn auch umstrittene — These gibt, daß Phosphin Blutkrebs auslösen könnte, ist eigentlich schon alles klar — und die Atomkraft als Leukämie-Verursacher aus der Schußlinie. Mit Messungen kann Gassmann seine Thesen freilich nicht belegen. „Meine Schlußfolgerungen sind kühn“, räumt er ein, „aber sie sind eine gedankliche Konstruktion, die weiterverfolgt werden muß.“ Statt in immer neue Baumscheibenuntersuchungen, sollten nun lieber mal Forschungsgelder in seine Phosphinuntersuchungen fließen.

Dem Hamburger GAL-Umweltreferenten Thomas Kleineidamm, war die Beweisführung ein wenig zu kühn: „Wenn ein Doktorant sowas abliefert, kriegt er seine Arbeit um die Ohren gehauen.“ Auch für den Epidemiologen Wolfgang Hoffmann, vom Bremer Institut für Präventionsforschung, sind die Erkenntnisse Gassmanns „eine abenteuerliche Spekulation, die durch nichts belegt ist“. Es sei „weder gesichert, daß Phosphin Blutkrebs erzeugt, noch kann Gassmann den kleinsten Beweis beibringen, daß der Stoff in der Elbmarsch in hoher Dosis auftaucht“.

Denn nach Gassmann müßte es im gesamten Unterelberaum, in allen Süßwasserfeuchtgebieten der Erde zu erschreckenden Blutkrebshäufungen kommen. Hoffmann: „Es ist absurd, aufgrund dieser Spekulationen nicht mehr zu untersuchen, ob Radioaktivität zur Leukämiehäufung in der Elbmarsch geführt hat.“ Deshalb: Kein Bedarf für Forschungskorrekturen. Was aber blieb dann von der Veranstaltung der Biologischen Anstalt übrig? Natürlich kalter Kaffee. Marco Carini