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Kulturboykott gegen die Zukunft

■ Nationalistische Sanktionierungen boykottieren den Menschen

Gegen Serbien und Montenegro hat die UNO scharfe Sanktionen verhängt. Gegen die neuen Staaten, Kroatien und Slowenien, und natürlich auch gegen das vor unseren Augen verblutende Bosnien-Herzegowina, sind Waffenembargos in Kraft – doch darüber scheinen sich die Betroffenen nicht wirklich Sorgen zu machen. Über den Bruch kultureller Sanktionen dagegen gerät die staatlich-intellektuelle Nomenklatura von Kroatien und Slowenien regelmäßig in helle Aufregung.

Es gibt keine serbischen Zeitschriften mehr in Kroatien und nur wenige in Slowenien; serbische Bücher verschwinden aus den Regalen der Bibliotheken und Buchhandlungen; und der kroatische Kulturminister verkündet, daß in einer kroatischen Schule niemand unterrichten darf, der nicht Kroate ist. Den zentralen Aspekten des Kulturboykotts zwischen diesen Ländern liegt nichts anderes zugrunde als das Ausagieren alter Konkurrenz- und Rachegefühle. Man braucht sich keinem Wettbewerb mehr auszusetzen, „das Unsrige“ ist schlichtweg immer das Beste. Doch noch immer gibt es Leute in Slowenien, die trotz dieses neuen Trends von einer freien Presse in Slowenien sprechen ...

Die Nationalisten verschiedener Couleur sind sich in vielem einig: Pazifismus z.B., alte jugoslawische Kommunikationsstrukturen und Netzwerke der Verständigung unter den Intellektuellen müssen kleingehalten werden. Statt emigrierte Wissenschaftler und Künstler aus ganz Jugoslawien zu sich einzuladen, hat Slowenien nach einer ersten Hochphase der Öffnung strenge Regelungen eingeführt, die eine Niederlassung in Slowenien erschweren.

Seit 17 Jahren bin ich mit einem Slowenen verheiratet und fuhr früher zwischen den Hauptstädten des früheren Jugoslawien viel hin und her – ich unterrichtete in Zagreb und Ljubljana, veröffentlichte in Belgrad und Novi Sad, arbeitete zusammen mit Kollegen an Projekten in Sarajevo und Dubrovnik. Unter dem sozialistischen Regime war das eine der Methoden, der jeweils regional organisierten Zensur zu entkommen. Jetzt darf ich nicht mehr nach Kroatien reisen, um meine Freunde, Verleger und Kollegen zu sehen oder meine Mutter in ihrem Sommerhaus an der Adria zu besuchen. Meinen Unterricht in serbischer Literatur wollte keiner mehr haben, und nach einer Reihe politischer Angriffe und Denunziationen (unter anderem durch Universitätskollegen) in der führenden Tageszeitung von Ljubljana löste man meinen Vertrag am Fachbereich für slawonische Sprachen und Literaturen. Keinen scheint es weiter zu stören, daß an einem Lehrstuhl, der das Wort „serbisch“ in seinem Titel führt, kein Sterbenswort mehr über serbische Literatur fällt.

Alle neuen Staaten des ehemaligen jugoslawischen Staates brechen das Embargo, wenn es um Waffen, Öl und andere Güter geht – aber sie gehorchen den nationalen Sanktionen bis aufs Komma, wenn es Menschenrechte, das Recht auf Information z.B., und die Kultur betrifft.

Als Serbin bemühe ich mich darum, die serbische Verantwortung für den Ausbruch des Krieges und die meisten seiner Zerstörungen anzuerkennen, die Politik Serbiens deutlich zu kritisieren und öffentliche Reue für seine Verbrechen gegen fremde Nationen, Albaner, Kroaten und Moslems, zu fordern – übrigens auch für die Zerstörung und Zersplitterung der eigenen Nation. Ich setze mich für praktische Schritte einschließlich der Strafverfolgung von Kriegsverbrechern ein, ich akzeptiere die Beschränkungen, die die internationale Staatengemeinschaft mir auferlegt, weil ich einsehe, daß man es Serbien derzeit nicht allzu einfach machen kann. Dennoch ist die entscheidende Frage für jeden Intellektuellen und Bürger – Serbe, Slowene, Europäer oder sonst was –, ob und in welchem Ausmaß wir die vom eigenen Staat eingeführten Restriktionen akzeptieren sollen. Geschäftsleute werden Beschränkungen immer heimlich brechen, Intellektuelle müssen es öffentlich tun.

Ein Embargo, ebenso wie ein Kulturboykott, fördert Rassismus und Verletzung der Menschenrechte; es verhindert den kulturellen Austausch. Ein zentraler Aspekt liegt im Verantwortungsbereich der Nationen, die es aussprechen: es ist ein Boykott gegen Menschen. Es wird Jahre dauern, bis die neuen Staaten einer multikulturellen Erziehung und Lebensweise, wie sie typisch für Altjugoslawien war, wieder mit Sympathie gegenüberstehen werden. Wenigstens ein Jahrzehnt wird vergehen, bevor unsere Bildungs- und Erziehungsinstitutionen eine neue Generation von Akademikern produzieren werden, die Toleranz und Multikulturalismus als normal empfinden und denen destruktive Ideologien, Nationalismen und Stereotypen ein Greuel sind.

Immer mehr junge Leute werden versuchen, das Gebiet des ehemaligen Jugoslawien zu verlassen, um anders zu leben, als es hier auf viele Jahre hin möglich sein wird. Es gibt keine schnellen und einfachen Lösungen. Der Krieg wird weitergehen, mit der Zeit wird er sich vielleicht auf Kerngebiete beschränken und weniger blutig werden. Irgendwann wird vielleicht wieder Stabilität herrschen, zumindest in einigen Ecken des früheren Jugoslawien. Aber die Frage ist, wie junge Leute aus Jugoslawien im Ausland überleben können. Dies nämlich scheint mir der einzige Weg, dem verordneten Kulturboykott und seiner Stupidität zu entkommen.

Kümmert Euch um die jungen Leute! Sie sind gebildet, mit der westlichen Kultur vertraut und – manchmal ein bißchen zu sehr – begeistert von ihren Konsummöglichkeiten. Das Bildungssystem Jugoslawiens war autoritär und ideologisch verkorkst, aber Ideologie ist das erste, was sie vergessen werden. Man muß ihnen auch helfen, die nationalistische Tollwut zu vergessen, deren Zeuge sie wurden. Sie sind die Zukunft der Region, die einzige Hoffnung auf eine tolerante und friedliche Entwicklung. Junge Leute, die mit dem Krieg und den nationalistischen Kämpfen nichts zu tun haben wollen, haben in den neuen Staaten Altjugoslawiens keine Chance. Doch denen, die im Ausland sind, kann geholfen werden.

Seid tolerant und großzügig mit den Jugoslawen aller Nationalitäten, behandelt sie nicht anders als andere Fremde und Migranten. Akzeptiert ihr Recht auf Bildung, auf Information, Kultur und Kommunikation. Dehnt die Sanktionen nicht auch noch auf sie aus.

Manche werden vielleicht für immer wegbleiben. Die anderen aber sind die, die eines Tages mit Europas Hilfe wieder eine neue, tolerante Gesellschaft aufbauen, und zwar in allen Ländern des alten Jugoslawien. Svetlana Slapšak

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