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Bald bürgernahe Polizei?

Eine historisch-kritische Untersuchung der Berliner Polizei von 1945 bis 1992  ■ Von Manfred Mahr

Naturgemäß nutzten die Sowjets in der ersten Phase nach der Kapitulation ihre Präsenz in der deutschen Hauptstadt, um die Schlüsselstellen in der Berliner Polizei mit moskaufreundlichem Personal zu besetzen. Paul Markgraf, der sich in sowjetischer Kriegsgefangenschaft dem „Nationalkomitee Freies Deutschland“ angeschlossen hatte, wurde von den Sowjets als erster Polizeipräsident Berlins nach dem Krieg eingesetzt. Sehr bald erkannten die Westalliierten die Notwendigkeit, ihren Einfluß in der Berliner Polizei zu sichern.

Die Autoren werten denn auch die Auseinandersetzungen in der Alliierten Kommandantur um Organisation und Einfluß auf das Polizeiwesen als Einleitung der 1948 betriebenen Spaltung Berlins.

Während anfangs ehemalige Nazis keine Chancen hatten, in den Polizeidienst übernommen zu werden, setzte wenig später eine Entwicklung ein, die auch aus Westdeutschland bekannt ist. Bereits 1948 waren zum Beispiel im britischen Sektor 25 Prozent der Polizeibeschäftigten durch ihre Nazivergangenheit belastet.

Zum Bruch der Alliierten kam es, als von den Westalliierten die Ablösung des kommunistischen Polizeipräsidenten und damit die Spaltung der Polizei betrieben wurde. Alliierte Vereinbarungen wurden gebrochen, Polizeibeamte aus politischen Motiven entlassen. So wechselten kommunistisch orientierte Polizisten in den Osten, dort entlassene fanden im Gegenzug im Westen bei der Polizei Anstellung. Die Autoren sprechen denn auch ironisch vom „kostenneutralen Personalaustausch“. Aktenbestände wurden in Nacht- und-Nebel-Aktionen wechselseitig über die Sektorengrenzen geschafft, bis schließlich durch die Übertragung der Währungsreform auf Westberlin am 23. Juni 1948 die Krise ihren Höhepunkt erreichte. Während in Ostberlin der Polizeipräsident Markgraf die Amtsgeschäfte ungerührt weiterführte, wurde im US-Sektor ein zweites Polizeipräsidium eingerichtet. Damit war die Spaltung praktisch vollzogen.

Für die wenig später einsetzende Militarisierung der Westberliner Polizei machen die Autoren vor allem die Westalliierten verantwortlich. Vor dem Hintergrund des 1950 mit Ausbruch der Kampfhandlungen in Korea einsetzenden Kalten Krieges waren kasernierte Polizeikräfte als Militärersatz gefragt. Bevorzugt wurden jetzt ehemalige Wehrmachtsoffiziere mit der Führung geschlossener Einheiten betraut. „Reithosen, Gamaschen und Nagelschuhe“ sollten das martialische Auftreten optisch unterstützen. Da eine Verweildauer in den geschlossenen Einheiten von drei bis vier Jahren vorgesehen war, wurde bei der Polizei ein vom Bürgerkriegsszenario bestimmtes Rollenverständnis entwickelt, das fatale Folgen haben sollte.

Breiten Raum widmen die Autoren Erich Duensing, einem Troupier vom Scheitel bis zur Sohle, der zwölf Jahre als Kommandeur der Schutzpolizei das Bild der Polizei entscheidend prägte, bevor er 1963 bis 1967 gar das Amt des Polizeipräsidenten innehatte. Dank seiner Protektion fanden ehemalige SS-Angehörige Unterschlupf im Polizeidienst, so auch ein SS-Untersturmführer der Leibstandarte Adolf Hitlers.

Wie auch andere Untersuchungen stellen Steinborn und Krüger die folgenschwere Bedeutung des Art. 131 GG heraus. Durch diese Bestimmung wurden die Bundesländer verpflichtet, bis auf wenige Ausnahmen die im Wege der politischen Säuberungen aus dem Polizeidienst entfernten Alt-Nazis wieder einzustellen. Eine Reihe von haarsträubenden Beispielen werden von den Autoren aufgelistet. So ist Mitte der fünfziger Jahre ausgerechnet einem ehemaligen Leibwächter Himmlers die Abteilung für politische Delikte übertragen worden; analog müßte man sich heute wohl einen Bodyguard Erich Mielkes als Leiter des Berliner Staatsschutzes vorstellen. Kommunisten hatten selbstredend keine Chance bei der Westberliner Polizei.

Geradezu spannend wird es, wenn die Autoren auf die Studentenunruhen Mitte der sechziger Jahre zu sprechen kommen. Insbesondere die Schilderungen rund um den 2. Juni 1967 (Anti-Schah- Demonstrationen, Tod Benno Ohnesorgs) lassen die innere Beteiligung der Verfasser bei allem zeitlichen Abstand zu den Ereignissen jener Jahre durchschimmern. Wenn von der „Leberwursttaktik“ Duensings zu lesen ist, von inszenierten Falschmeldungen, von geduldeten, wenn nicht sogar erwünschten Aktionen der Schlägertrupps des persischen Geheimdienstes SAVAK bis hin zum Tod Benno Ohnesorgs, dann spürt man, daß hier Einschnitte im Leben der Autoren verarbeitet werden.

Nachdem 1967 Erich Duensing wegen erwiesener Falschaussagen vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß zurückgetreten war und ein schwacher Nachfolger ein Jahr später ebenfalls das Handtuch werfen mußte, wurde mit Klaus Hübner, einem gewerkschaftlichen Gegenspieler aus den fünfziger Jahren, eine neue, 18jährige Ära eingeleitet. Andere Töne wurden angestimmt: Dialogfähigkeit, nicht Militarismus sollte das Rollenverständnis des neuen Polizeitypus ausmachen. Legendär wurden die sogenannten Diskussionskommandos (übrigens u.a. von dem führenden SDS-Funktionär Peter Gäng und dem späteren Berliner Bürgermeister Walter Momper geschult), die sich unter die Studenten mischten, mit ihnen über die Hintergründe des Vietnamkrieges diskutierten und damit zur Deeskalation beitragen sollten. „Wer diskutiert, wirft nicht mit Steinen“, lautete verkürzt das von Hübner ausgegebene Motto. Berlin führte denn auch unter Hübner jene große Polizeireform durch, die Vorbild für die Reformvorhaben in den übrigen Bundesländern werden sollte.

Ausführlich werden auch die Hintergründe für die Häuserkämpfe Anfang der achtziger Jahre dargelegt und der Nachweis geführt, daß die mit dem Regierungswechsel wieder ausgegebene harte Linie der polizeilichen Lösung zur Eskalation auf der Straße führen mußte. Bedauernd stellen die Autoren anschließend fest, daß die unter der rot-grünen Regierungsverantwortung eingeschlagenen „wichtigen Marksteine auf dem Weg zur Bürgerpolizei“ aufgrund der kurzen Amtszeit nicht in dem Umfang greifen konnten, wie sie geplant waren.

Ob sich die Berliner Polizei auf dem Weg zur bürgernahen Polizei befindet, haben die Autoren im Untertitel ihrer Abhandlung mit einem Fragezeichen versehen. Die Frage mag sich der Leser selbst beantworten. Die Geschichte der Volkspolizei zwischen 1948 und 1989 konnte bei dieser Untersuchung nicht berücksichtigt werden. Sie soll Gegenstand eines gesonderten Forschungsauftrags werden, dessen Finanzierung aber noch nicht gesichert ist.

Norbert Steinborn/Hilmar Krüger: „Die Berliner Polizei 1945–1992. Von der Militärreserve im Kalten Krieg auf dem Weg zur bürgernahen Polizei?“ Berlin Verlag Arno Spitz GmbH, Berlin 1993, 39,80DM

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