piwik no script img

Eine Stimme zuwenig für Suchocka

Die polnische Regierung Suchocka stürzte über Mißtrauensvotum von Solidarnosc / Initiative liegt jetzt bei Walesa / Neues Kabinett Suchocka auf breiterer Grundlage?  ■ Aus Warschau Klaus Bachmann

Der polnischen Opposition ist es gelungen, die Regierung von Ministerpräsidentin Hanna Suchocka über ein Mißtrauensvotum im Parlament zu stürzen. Gestern morgen sprachen 223 Abgeordnete der Koalitionsregierung ihr Mißtrauen aus, 198 hielten zur Regierung, 24 enthielten sich. Damit wurde die zur Abwahl der Regierung erforderliche Zweidrittelmehrheit gerade erreicht. Suchocka wurde zum Verhängnis, daß ein Abgeordneter, der sie unterstützte, zu spät erschien.

Der Mißtrauensantrag war von der Parlamentsfraktion der Gewerkschaft Solidarnosc vor einer Woche eingebracht worden. Für den Fall seiner Ablehnung hatte die Gewerkschaft mit einem Generalstreik gedroht. Schon seit Wochen streiken Lehrer, Beschäftigte im Gesundheitswesen, Bergarbeiter in Niederschlesien, einzelne Großbetriebe und zeitweise auch der kommunale Nahverkehr in Warschau für höhere Löhne.

Mit der Parlamentsentscheidung vom Freitagmorgen wurde die Neun-Parteien-Koalition von Polens bisher populärster Regierungschefin nach nur zehn Monaten abgewählt. Die Initiative liegt nun bei Präsident Lech Walesa, der entweder einen Kandidaten seiner Wahl mit der Regierungsbildung beauftragen oder das Parlament auflösen muß. Walesa erklärte bereits am Donnerstag, er halte Hanna Suchocka für eine gute Premierministerin und sprach sich gegen Neuwahlen aus. Daher gilt als nicht ausgeschlossen, daß Hanna Suchocka erneut nominiert wird und sie dann ein Regierungsbündnis auf breiterer Basis zustandebringen muß. Entsprechende Vorschläge hatte es bereits in den letzten Tagen von Seiten der oppositionellen Polnischen Bauernpartei gegeben, die Interesse an einer Regierungsbeteiligung hatte erkennen lassen.

Die Abstimmungsniederlage der Regierung Suchocka wurde möglich, weil in den letzten Wochen zwei Parteien das Regierungsbündnis verlassen hatten. Vor einem Monat hatte sich die kleine „Bauernverständigung“ aus Protest gegen die Agrarpolitik der Regierung verabschiedet. Schon damals hatte die Regierung ihre rechnerische Mehrheit verloren. Als dann noch die Parlamentsfraktion der Gewerkschaft Solidarnosc Suchocka aus Protest gegen zu geringe Lohnerhöhungen im öffentlichen Dienst die Gefolgschaft aufkündigte, das Mißtrauensvotum einbrachte und mit dem Generalstreik drohte, wurde die Lage für die Regierung fast aussichtslos. Nun hat Solidarnosc jene Regierung gestürzt, zu deren Zustandekommen sie selbst vor einem Jahr maßgeblich beigetragen hatte.

Schon zuvor hatte sich gezeigt, daß selbst die Zufallsmehrheiten für die Regierung im Parlament diese nur im Amt halten können – Politik machen ließ sich damit schon seit längerem nicht mehr. Zwar brachte die Regierung ihren Haushalt knapp durchs Parlament, doch dann verabschiedete dieses ein Rentengesetz, das dem Budget völlig widersprach.

So wurden die letzten Wochen zu einem Wettlauf mit der Zeit, bei der besonders die größeren Regierungsparteien danach strebten, den Zeitpunkt der Abwahl bis zum Inkrafttreten des neuen Wahlgesetzes hinauszuschieben. Dieses bevorzugt große Parteien und wäre geeignet gewesen, kleinere Parteien von Mißtrauensanträgen gegen die Regierung und anschließenden möglichen Neuwahlen abzuhalten, da sie nicht hätten sicher sein können, in einem neuen Parlament wieder vertreten zu sein. Doch nun steckt das Gesetz noch in den Ausschüssen.

Ohne eine Parlamentsauflösung bliebt Polen innenpolitisch im Patt stecken: Einem Rechtsblock steht im Parlament ein Linksblock gegenüber, aber keiner hat allein eine Mehrheit. So drängten Vertreter der Christnationalen schon bisher darauf, die Polnische Bauernpartei und andere rechtsgerichtete Parteien in die Koalition aufzunehmen, während die Demokratische Union Kontakte zur exkommunistischen Sozialdemokratie suchte. Zünglein an der Waage ist dabei immer Solidarnosc, deren Vertreter nicht verhehlen, daß ihnen eine „Regierung der starken Hand“ am liebsten wäre.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen