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Für doppelte Staatsbürgerschaft

■ Interview mit Onur Öymen, Botschafter der Türkei in Bonn: „Polizeimaßnahmen allein können das Problem nicht lösen“

taz: In Solingen sind fünf Menschen ermordet worden, weitere wurden verletzt. Waren Sie dort?

Onur Öymen: Ich war mit dem nordrhein-westfälischen Innenminister Schnoor dort. Wir haben das Krankenhaus besucht, mit den Verletzten und auch mit anderen Familienmitgliedern gesprochen. Es ist wirklich eine große Tragödie. Die wohnen seit 12 Jahren dort, es war ihr eigenes Haus, sie hatten niemals Probleme, es ist wirklich unvorstellbar. Es war eine große Familie. Der Mann hat in einer Textilfabrik gearbeitet und gestern nacht war er auf Nachtschicht im Betrieb. Er hat für seine Familie gearbeitet, aber auch für Deutschland. Es ist einfach unvorstellbar, wie unschuldige Menschen, Frauen und Kinder getötet werden können, nur weil sie Türken sind. Das ist einfach unglaublich.

Sie haben die deutsche Regierung gebeten, mehr für die Sicherheit von türkischen Bürgern zu tun. Woran denken Sie dabei?

Man kann nicht nur durch Polizeimaßnahmen die Probleme lösen. Vielleicht brauchen wir bessere Informationen. Durch Schulbücher und durch die Medien muß man die Deutschen besser informieren. Die Türken sind keine Feinde, sie sind Freunde von Deutschland. Auch wollen wir, daß alle radikalen Vereinigungen verboten werden. Wir haben das Gefühl, daß die Rechtsradikalen bestens organisiert sind. Vielleicht wäre die doppelte Staatsbürgerschaft ein gutes Zeichen. Gleichzeitig sind wir dankbar, daß die deutsche Regierung sich empört über die Anschläge äußert, ebenso wie die Mehrheit der Deutschen.

Sie sprechen von besserer Information ...

Ja, man muß einmal die deutschen Schulbücher durchschauen und sehen, was die deutschen Kinder über Türken und andere Gruppen in Deutschland lernen. Was sie über deren Kultur erfahren, über deren Beiträge zur deutschen Gemeinschaft im Kulturbereich, über deren Traditionen, Gastfreundschaft, Geschichte.

Nach Mölln hatte man die vage Hoffnung, daß ähnliches nicht mehr geschehen könne ...

Ja, es gab danach zwar noch Übergriffe, aber auch wir dachten, daß es nun besser würde. Auch gab es Verbote rechtsradikaler Gruppen. Jetzt lernen wir, daß wir mehr tun müssen. Aber es ist nicht möglich, alle Türken, alle Ausländer in Deutschland zu schützen.

Was wollen Sie den Türken in Deutschland sagen?

Sie sollen nicht überreagieren. Sie müssen ihre Gefühle und Gedanken im Rahmen der Demokratie ausdrücken. Wenn sie überreagieren, können sie in eine sehr schlechte Situation kommen.

Das Gespräch führte Julia

Albrecht in Bonn

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